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Billy Wilder

„Some are perfect“ – Zum Tod von Billy Wilder

In seiner langen Karriere hat Billy Wilder nicht nur Meisterwerke gedreht. Einige Filme seines Spätwerks wirken heute seltsam bemühend und fast ein wenig peinlich. Aber das ist alles Nebensache. Wilder hätte dutzendweise schlechte Filme drehen können, sein Platz im Filmolymp wäre ihm dennoch durch einen einzigen Film auf alle Zeiten sicher, irgendwo ganz oben neben Welles, Hitchcock, Eisenstein und Kubrick. Some Like It Hot ist nach wie vor das Musterbeispiel für eine Filmkomödie. Wenn es einen perfekten Film gibt, dann diesen.

Ich weiss nicht, wie oft ich Some Like It Hot schon gesehen habe. Mit meinem Vater, dessen Filmgeschmack ich hier für einmal teile, sass ich ungezählte Male brüllend vor Lachen vor dem Fernseher, wenn Wilders Meisterstück gezeigt wurde. Und obwohl wir beide den Film in- und auswendig kennen, den Dialog im Schlaf herunterbeten können, gibt es für uns kein Halten mehr, wenn Jack Lemmon stolz verkündet, dass er sich gerade mit dem debilen Millionär Osgood Fielding III verlobt hat.

Die Geschichte von Some Like It Hot ist nicht besonders originell, die Idee, Männer in Frauenkleider zu stecken, auch nicht neu. Was den Film auszeichnet und typisch für Wilders ganzes Schaffen ist, ist seine handwerkliche Perfektion. An dem Drehbuch, das er gemeinsam mit I. A. L. Diamond verfasst hat, stimmt einfach alles. Das Timing ist so perfekt, die Abfolge der Pointen so nahtlos, dass man meinen könnte, dieser Film sei mit der Stoppuhr in der Hand geschrieben worden. Some Like It Hot verkörpert alle Tugenden des heute vielgescholtenen Hollywood-Kinos: Unterhaltungshandwerk in makelloser Qualität. Ein publikumswirksamer Film mit grossen Stars, der die Geschichte in den Vordergrund stellt. Humor, der weder infantil noch dumm ist.

In Some Like It Hot zeigt sich Wilder ganz von seiner unbeschwerten komödiantischen Seite, doch in vielen anderen seiner Filmen herrschen dunkle Töne vor. Double Indemnity, der dritte Filme des österreichischen Emigranten in Amerika, ist bereits von einer kaum überbietbaren Schwärze. Zwei Stars, Fred MacMurray und Barbara Stanwyck, morden in diesem Film nur noch aus reiner Gier. Obwohl am Schluss beide ihre gerechte Strafe erfahren, kann von einem beruhigenden “Crime doesn’t pay” längst nicht mehr die Rede sein. Hehre Motive, Moral und Anstand sind hinfällig geworden, Menschen sind in diesem dunkelsten aller film noirs nur noch triebgesteuerte Tiere.

Sechs Jahre später folgte Sunset Boulevard, der Albtraum auf die Traumfabrik Hollywood. Es ist Wilders morbidester und wahrscheinlich auch schönster Film. Schon die Erzählkonstruktion zeigt, dass es sich bei Sunset Boulevard eigentlich um eine Geistergeschichte handelt, denn der Erzähler ist ein toter Drehbuchautor. Er erzählt uns die Geschichte des gealterten Stummfilmstars Norma Desmond, die noch immer in dem Wahn lebt, berühmt und geliebt zu sein, und sich ihre Scheinwelt mit aller Kraft am Leben erhält. So phantastisch die Anlage des Films auch ist, Sunset Boulevard ist in gewissem Sinne ein Dokumentarfilm, denn die Schauspieler spielen in diesem Film eigentlich nur ihre persönlichen Lebensgeschichten. Norma Desmond wird von Gloria Swanson, einem der grössten Stars des Stummfilms verkörpert, und in der Rolle des gescheiterten Max von Mayerling brilliert Erich von Stroheim, eines der tragischsten Opfer der Glitzerstadt. Und dann diese Szene, in der die Desmond mit ihren Freunden Karten spielt. Am Tisch sitzt auch Buster Keaton, der Jahrhundertkomiker, der den Übergang zum Tonfilm auch nicht schaffte und als elender Alkoholiker endete. Er sagt in diesem Abgesang auf die Welt des schönen Scheins nur ein einziges Wort: “Pass.”- “Ich passe.” Wilder hat sich Zeit seines Lebens ganz bescheiden als Handwerker verstanden, dass er ein grosser Künstler war, zeigt sich nicht nur in diesem Film.

Hollywood nahm Wilder diese Attacken nicht besonders übel, dafür waren seine Filme an der Kasse viel zu erfolgreich. Während gut zwei Jahrzehnten war Wilder im Filmgeschäft ganz oben. Die Stars paradierten regelrecht in seinen Filmen: die Dietrich, die Monroe, Audrey Hepburn, Shirley MacLaine, Humphrey Bogart, Kirk Douglas, Tony Curtis, Charles Laughton, Jack Lemmon und Walter Matthau, sie alle haben einige ihrer denkwürdigsten Rollen Wilder zu verdanken. Ihm, der vor allem deshalb Regisseur geworden war, weil ihn die Umsetzung seiner Drehbücher durch andere nicht zufrieden stellte.

Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte Wilder 1960 mit The Apartment. Der Erfolg dieses Films übertraf alle bisherigen, Wilder allein erhielt dafür drei Oscars. Von da an lief die Erfolgsmaschine nicht mehr ganz so rund. Bei One, Two, Three versagte Wilders Gespür für Timing für einmal. Denn diese atemlose Farce über die Teilung Berlins kam genau dann ins Kino, als im realen Berlin die Mauer gebaut wurde. Das Publikum konnte über derart aktuelle Themen nicht mehr lachen. Heute, in sicherem historischen Abstand, zeigt sich erst, wie unglaublich treffend Wilders Witz auch in diesem Film ist. Derart ätzend und respektlos machte sich sonst wohl nur noch Kubricks Dr. Strangelove über den kalten Krieg lustig.

In den folgenden Jahren kam Wilder nie mehr richtig in den Tritt. 1978 unternahm er eine Art Über-Remake seines eigenen Films Sunset Boulevard. Fedora, einer seiner unbekanntesten Filme, ist Wilders Versuch, sich in einem kolossalen Kraftakt noch einmal selbst zu überbieten. Wieder geht es um eine gealterte Filmdiva, die nicht sterben will und dieses mal im Körper ihrer Tochter weiterlebt. Fedora ist giftiger, böser, nihilistischer als alles, was Wilder zuvor gedreht hatte. Letztlich funktioniert der Film aber nicht, er will zu hoch hinaus und scheitert irgendwo unterwegs. Doch ein faszinierendes Stück Kino ist er dennoch zweifellos, ein gescheitertes Meisterwerk der Schwärze.

1981, im alter von 75 Jahren, drehte Wilder seinen letzten Film Buddy Buddy, von da an war Funkstille. Immer mal wieder war davon die Rede, dass der alte Mann doch wieder einen Film drehen wollte. Eine Zeit lang ging das Gerücht um, dass er die Verfilmung von Schindler’s List übernehmen sollte. Man muss heute fast dankbar dafür sein, dass es nicht dazu gekommen ist, denn dieser Film wäre wohl unerträglich zynisch geworden. Wilders Spott verschonte nichts und niemanden, doch wenn es jemanden gab, den dieser beissende Moralist besonders verachtete, dann waren es die Deutschen. Unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg arbeitete Wilder für einen Bruchteil seiner üblichen Gage für die Propagandaabteilung der amerikanischen Armee in Deutschland. Was er in dieser Zeit im zerbombten Nachkriegsdeutschland erlebte, bestärkte ihn nur noch in seiner Abneigung: Bei einer Vorführung eines Dokumentarfilms über die Greuel in den KZs, an dessen Herstellung Wilder beteiligt war, wurden dem Publikum Fragebogen und Stifte ausgeteilt, mit denen sie den Film beurteilen sollten. Nach der Vorführung war kein Fragebogen ausgefüllt, dafür waren alle Stifte geklaut.

Billy Wilder, der letzte Grosse eines leider längst vergangenen Hollywoods, ist in der Nacht auf Gründonnerstag im Alter von 95 Jahren gestorben. Eine Ära ist endgültig zu Ende gegangen.

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