Es wurde schon viel geschrieben über das Endspiel der Fussball-WM von 1954, als Deutschland vollkommen überraschend gegen die haushoch favorisierten Ungaren gewann. Wäre die deutsche Nachkriegsgeschichte anders verlaufen, wenn Helmut Rahn damals im Wankdorf-Stadion sechs Minuten vor Spielende nicht das entscheidende 3:2 erzielt hätte; wäre es vielleicht nie zum deutschen Wirtschaftswunder gekommen? Nach zahlreichen Büchern und Essays hat nun Sönke Wortmann, seinerseits als Regisseur des Bewegten Mannes Vorzeigefigur des deutschen Filmwunders, einen Film über das Wunder von Bern gedreht. Nach einem kurzen, hierzulande kaum bemerkten Ausflug nach Hollywood (The Hollywood Sign) bewegt er sich damit wieder auf urdeutschem Boden.
Wir schreiben Essen im Jahre 1954: Die Familie Lubanski wartet immer noch auf Vater Richard, der in einem russischer Gefangenenlager sitzt. Mutter Christa müht sich in der Kneipe ab, derweil Sohn Matthias (Louis Klamroth) nur Fussball im Kopf hat. Er ist der persönliche Taschenträger von Helmut Rahn, dem "Boss", der ihm stets versichert, dass er ohne ihn, sein persönliches Maskottchen, kein Spiel gewinnen kann. Es ist ein hartes, aber dennoch idyllisches Leben, das die Lubanskis führen. Solange man im Hinterhof mit den Freunden den Ball treten kann, lässt sich die wirtschaftliche Misere ganz gut aushalten.
Die allgemeine Harmonie wird gestört, als der Vater (Peter Lohmeyer) nach langen Jahren des Wartens endlich zurückkehrt. Der Heimkehrer hat Mühe sich in die Familie zu integrieren. Er kann die kommunistischen Anwandlungen seines ältesten Sohnes Bruno ebenso wenig akzeptieren wie die Selbständigkeit seiner Gattin. Ganz und gar nicht klappt es aber mit dem kleinen Matthias. Dass der Sohnemann den Ersatzvater Rahn vorzieht, treibt Richard auf die Palme. Die von Matthias so ersehnte Fahrt an die WM in Bern liegt auf keinen Fall drin.
Rainer Werner Fassbinder hat in Die Ehe der Maria Braun dem WM-Final von 54 bereits ein filmisches Denkmal gesetzt. In der Schlusssequenz seines Films steht Maria, die weibliche Verkörperung des Wirtschaftswunders, endlich ihrem lange vermissten Mann gegenüber. Während auf der Tonspur die Radioübertragung des WM-Finales zu hören ist, muss Maria erkennen, dass sie mit ihrem Gatten überhaupt nichts mehr anfangen kann, dass all die Jahre der Mühe und Entbehrung ganz umsonst waren. Schliesslich, als der Radiokommentator den verbalen Orgasmus erreicht hat, sprengt sie ihre prunkvolle Villa in die Luft.
Von dieser beissenden Ironie ist bei Wortmann nichts zu spüren. So kurz sein Studienaufenhtalt in Hollywood war, er scheint sich doch gelohnt zu haben, denn Das Wunder von Bern unterscheidet sich kaum noch von amerikanischen Sportfilmen. Der Film ist – sieht man von den geradezu jämmerlichen digitalen Effekten ab – ein Stück handwerklich sauber gemachter Routineunterhaltung. Natürlich wendet sich zum Schluss alles zum Guten. Der Vater ist doch gar kein so schlechter Kerl, deutsche Jungs dürfen auch mal weinen, das digitale Fussballpublikum liegt sich glücklich in den Armen, und ein Schlusstitel macht uns darauf aufmerksam, dass ein Jahr später das deutsche Wirtschaftswunder beginnen wird. Dazu erschallen Fanfaren, alles jubelt und lacht, und was auch nur entfernt nach ein wenig kritisch-historischer Distanz klingen könnte, wird vom allgemeinen "Wir sind wieder wer, Deutschland darf wieder siegen."-Geschrei souverän niedergebrüllt. Deutsche Vergangenheitsbewältigung einmal anders. Beim Publikum scheint’s anzukommen; am Filmfestival von Locarno erhielt Das Wunder von Bern den Publikumspreis.
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