Zum Inhalt springen

Ein Wunder von Satire
Wir Wunderkinder von Kurt Hoffmann

An Filmen, die den Zweiten Weltkrieg zum Thema haben, mangelt es im zeitgenössischen deutschen Kino wahrlich nicht. Doch allzu oft handelt es sich dabei um Betroffenheitskitsch, bei dem die guten Absichten umgekehrt proportional zur filmischen Qualität stehen. Überraschende oder gar witzige Filme über das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte sind rar, und die wenigen Beispiele, die das Thema auf satirische Weise angehen – etwa Dani Levys Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler oder Wolfgang Murnbergers Mein bester Feind –, erweisen sich nicht selten als besonders verkrampft und unlustig. Dass es anders geht, führte Kurt Hoffmann bereits vor sechzig Jahren mit Wir Wunderkinder vor.

Der Film, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Hugo Hartung, erzählt anhand seiner Hauptfigur Hans Boeckel rund vier Jahrzehnte deutscher Geschichte, begonnen im Kaiserreich unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs bis zu den Wirtschaftswunderjahren der Nachkriegszeit. Boeckel ist der anständige, tüchtige, aber auch naive Deutsche, der zu den Nationalsozialisten von Anfang an auf Distanz geht, diese fatalerweise aber auch nie recht ernst nimmt. Sein Gegenspieler ist Bruno Tieches, ein dummer, dafür aber umso lauter grölender Opportunist, der in der Partei Karriere macht und in den Fünfzigerjahren – nach einem kurzen Intermezzo als Schieber – als Industrieller gross rauskommt.

Robert Graf und Hansjörg Felmy

Der Opportunist und der aufrechte Deutsche: Robert Graf (l.) und Hansjörg Felmy

Betrachtet man nur den Plot, dann ist an Wir Wunderkinder wenig Bahnbrechendes zu erkennen. Im Gegenteil: Boeckel, passend farblos verkörpert von Hansjörg Felmy, ist derart ahnungslos, dass man ihn am liebsten schütteln möchte. Weder als sein jüdischer Schulkamerad flieht, noch als seine Verlobte nicht nach Deutschland zurückkehren will, merkt er, was die Stunde geschlagen hat. Und als er sich endlich dank Heirat mit der überaus charmanten Kirsten (Johanna von Koczian) nach Dänemark abgesetzt hat, entschliesst er sich noch am Abend seiner Hochzeit, wieder in die Heimat zurückzukehren, um dort als pflichtbewusster Bürger seinen Wehrdienst zu verrichten. Und Kirsten folgt ihm als treues Weib ohne Murren.

Man könnte dies als plumpen Revisionismus verstehen, als Versuch, jegliche Schuld auf die Bruno Tieches dieser Welt zu schieben, die hinterrücks das aufrechte Deutschland übernahmen, ohne dass die Hans Boeckels etwas dagegen tun konnten. Doch davon ist Hoffmanns Film weit entfernt. Das Ingeniöse von Wir Wunderkinder liegt darin, dass er vor die eigentliche Handlung noch eine zusätzliche Erzählebene setzt, in der die beiden Kabarettisten Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller als Conferenciers auftreten.

Neuss und Müller, die in den Fünfzigerjahren als Komikerduo «Die zwei Wolfgangs» durch die Bundesrepublik tingelten, agieren in Stummfilmmanier als Filmerzähler und -musiker, die das Geschehen hinter ihnen auf der Leinwand begleiten; Müller am Klavier, Neuss mit dem Zeigestab, das Bier griffbereit und stets den passenden Spruch auf den Lippen. Seinen Witz zieht der Film wesentlich aus den Interventionen der beiden, wobei die Palette von Kalauern – «So gut geht es Dänen und denen, denen Dänen nahestehen» – über politische Spitzen bis zu Diskussionen reicht, welche Musik am besten zur aktuellen Szene passt. Insbesondere Neuss geht ganz in der Rolle des feuchtfröhlichen Unterhalters auf und fährt seinen Kompagnon auch mal mit forscher Berliner Schnauze an: «Donnerwetter Hugo, kannste nicht mal was anderes spielen. Ich mach hier auf en Lyrischen, und du haust mir mit deinem dämlichen Marsch dazwischen.»

Wolfgang Müller und Wolfgang Neuss

Die beiden Wolfgangs

Denkt man an deutsche Nachkriegskomödien, fallen einem am ehesten Filme wie Charleys Tante oder Die Drei von der Tankstelle ein. Brave Hausmannskost, deren Humor niemandem zu nahe treten soll. Und im Grunde ist auch Kurt Hoffmann ein typischer Vertreter dieses Biedermannkinos. Der Regisseur, der sein Handwerk bei Ernst Lubitsch gelernt hatte, galt schon früh als ausgesprochener Komödienspezialist. Sein Quax, der Bruchpilot mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle war eine der erfolgreichsten Komödien der NS-Zeit, und später feierte er mit Filmen wie Ich denke oft an Piroschka – dank dem Liselotte Pulver zum Star wurde – oder der Erich-Kästner-Verfilmung Das fliegende Klassenzimmer Erfolge.

Im Vergleich zu diesen Beispielen gepflegter Harmlosigkeit – aber auch gemessen an vielen aktuellen Produktionen – wirkt Wir Wunderkinder wie eine frische Brise. Witziges, freches Kino, das es just auf den deutschen Biedersinn abgesehen hat, den Hoffmann in anderen Filmen weitgehend unironisch zelebriert. Obwohl Robert Graf in seiner Rolle als dummdreister Bruno den bemerkenswertesten Auftritt hat, zielt der Film weniger auf Nazis wie ihn, sondern auf all die Deutschen, die sich angeblich nicht für Politik interessieren, aber, wenn es verlangt wird, dennoch feste mitmarschieren. «Die Zukunft des Reichs, die liegt ganz gewiss im Marsch, im Marsch», singen die beiden Wolfgangs an einer Stelle wenig subtil.

Die Pointe der deutschen Geschichte besteht für Wir Wunderkinder darin, dass es dem Land trotz zweier verlorener Weltkriege alles in allem erstaunlich gut ergangen ist. Die Nachkriegszeit der Roaring Twenties ist trotz Inflation und politischer Instabilität mindestens so lustig wie die Vorkriegszeit, und auf den Zusammenbruch des Dritten Reichs folgt als gerechte Strafe das Wirtschaftswunder – «Ist ja kein Wunder nach dem verlorenen Krieg!», lautet dazu der Kommentar der Wolfgangs. Und egal, woher der politische Wind weht, der aalglatte Bruno ist immer obenauf. Als Boeckel noch seinen letzten Teppich bei einer Bäuerin gegen ein paar Kartoffeln und Eier eintauscht, handelt sein ehemaliger Klassenkamerad bereits wieder erfolgreich mit Töpfen.

Mitten in der Adenauer-Zeit spricht Hoffmann offen aus, dass manch früherer Parteibonze den Übergang von Diktatur zu Demokratie beinahe bruchlos vollzogen hat und mittlerweile längst wieder in Amt und Würden ist. Am Ende ereilt zwar zumindest den fiesen Bruno sein gerechtes Schicksal, als er wütend über einen kritischen Zeitungsartikel Boeckels einen defekten Fahrstuhl betritt und ein wenig zu rasant in die Tiefe fährt, der Film macht aber keinen Hehl daraus, dass derartig schwungvolle Abgänge ehemaliger Nazi-Grössen die Ausnahme bleiben werden. «So viele Fahrstühle können ja auch gar nicht repariert werden», meint Neuss dazu lakonisch. Es ist das Schlusswort des Films.

Erschienen im Filmbulletin1/2019.

Wir Wunderkinder in der Internet Movie Database.

Sei der Erste der einen Kommentar abgibt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

zwei × fünf =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.