Was kann Satire noch leisten, wenn das mächtigste politische Amt der Welt von einem bösen Clown bekleidet wird? Wenn die Tweets des Commander in Chief grotesker sind als jeder Saturday Night Live-Sketch? Diese Frage drängt sich im Fall von Vice unweigerlich auf. Denn der Film von Adam McKay hat vorderhand zwar eine vergangene politische Epoche zum Thema, will aber nicht zuletzt als beissender Kommentar zur US-Gegenwart verstanden werden.
Vice zeigt den Aufstieg Dick Cheneys (Christian Bale) vom versoffenen Leitungsmonteur zur grauen Eminenz Washingtons. Nach den Anschlägen des 11. September ist er schliesslich am Ziel: Klammheimlich hat er das Amt des Vizepräsidenten, dem normalerweise eine primär repräsentative Funktion zukommt, zur eigentlichen Schaltzentrale der US-Regierung umgebaut. Unter dem jüngeren Bush ist Cheney der wahre Strippenzieher, während der gewählte – oder vielmehr von politisch nahestehenden Richtern ins Amt gehievte – Präsident wenig mehr ist als ein ahnungsloser Hampelmann, der von seinem Vize nach dem Feldzug in Afghanistan zu einem weiteren Krieg im Irak gedrängt wird. Einem Krieg, für den die Geheimdienste keine brauchbaren Gründe liefern können. Doch selbst das reicht Cheney nicht. Er nimmt den war on terror zum Anlass, sich über alle bisherigen Regeln hinwegzusetzen.
Barbarische Gourmets
Sinnbildlich hierfür steht eine Szene im letzten Drittel des Films, eine satirische Miniatur, die Cheneys ganze Skrupellosigkeit illustriert. Cheney, sein Stabschef David S. Addington (Don McManus), Donald Rumsfeld (Steve Carell) und Paul Wolfowitz (Eddie Marsan), kurz, das versammelte Gruselkabinett der Bush-Regierung, sitzen im gedämpft beleuchteten Raum eines Restaurants und lassen sich vom Kellner (Alfred Molina) die Spezialitäten des Hauses erklären. Auf dem Menü stehen alle legalistischen Tricksereien, mit denen Cheney und seine Entourage die Menschenrechte aushebeln werden. Leckereien wie der enemy combatant, der weder Kriegsgefangener noch gewöhnlicher Krimineller ist und somit von keinem Gesetz geschützt wird. Ebenso zu empfehlen sind Verhöre in Ländern, in denen noch gefoltert wird, und schliesslich Guantánamo Bay, das ebenfalls nicht der US-Jurisdiktion untersteht. Die Männer hören mit leuchtenden Augen zu und bestellen schliesslich das gesamte Angebot.
Nicht zuletzt die überaus zuvorkommende Art, mit der Molina die verschiedenen Köstlichkeiten anpreist, macht diese Szene zum satirischen Kleinod. Der eklatante Gegensatz zwischen dem gediegenen Ambiente und der wahren Bedeutung von Molinas Worten erzeugt jenes zugleich quälende und befreiende Gefühl, das wirklich gelungene Satire auszeichnet. Dabei geht es weniger um das berühmte Lachen, das einem im Halse stecken bleibt, als eher um ein Lachen aus Hilflosigkeit. Gelächter als letzter verzweifelter Befreiungsschlag angesichts einer Wirklichkeit, die viel zu schrecklich ist, als dass ein halbwegs empfindsamer Mensch sie noch aushielte.
Die nicht einmal fünfminütige Sequenz könnte problemlos als isolierter Sketch bestehen. Gerade in ihrer Kompaktheit und Schlüssigkeit macht sie aber deutlich, warum Vice, der mit Preisen und Oscar-Nominationen überhäuft wurde, insgesamt nicht funktioniert.
Farce oder Lehrstück?
Vice will vieles gleichzeitig sein. Ein Porträt Dick Cheneys, des Mannes, der zeitweise mächtiger war als der Präsident und über den man dennoch so gut wie nichts weiss. Eine Anklage gegen sinnlose Kriege und massive Menschenrechtsverletzungen. Und eine mögliche Erklärung für die heutige politische Situation in den USA.
Um diesen Rundumschlag in Szene zu setzen, wählt McKay – wie bei seinem letzten Film The Big Short (2015), der die Akteure der Finanzkrise aufs Korn nahm – eine eklektische und zuweilen hysterische Mischung aus Farce, Lehrfilm und relativ klassischer historischer Rekonstruktion. Offensichtlich erfundene, nicht selten absurde Momente wie die Restaurantszene wechseln sich mit anderen ab, in denen der Film geradezu didaktisch, mittels Off-Kommentar und Texteinblendungen, wichtige reale Sachverhalte erklärt. Etwa, was es mit der unitary executive theory auf sich hat, die den Präsidenten – und damit in diesem speziellen Fall auch seinen Vize – faktisch über das Gesetz erhebt.
Darauf folgen Spielszenen, in denen in der Manier eines klassischen Biopics die Stationen von Cheneys Leben abgehakt werden. Und immer wieder durchbricht der Film die fiktionale Illusion, wendet sich direkt ans Publikum und macht deutlich, dass das Gezeigte eine Konstruktion ist, dass die Realität wahrscheinlich anders war – aber deswegen nicht notwendigerweise weniger grauenhaft.
Bei The Big Short entsprach diese verrückte Mischung dem Setting, in dem geld- und machttrunkene Wichtigtuer in gigantischer Selbstüberschätzung die Weltwirtschaft an die Wand fuhren. Bei Vice, in dem McKay sein stilistisches Arsenal noch erweitert, wollen sich die verschiedenen Teile dagegen nie recht zu einem Ganzen fügen.
Erkenntnis durch Überzeichnung
Treffsichere Satire schafft es, reale Missstände durch drastische Überzeichnung, durch Übertreibung und Zuspitzung im grellstmöglichen Licht erscheinen zu lassen. Sie geht von der Wirklichkeit aus und treibt deren Widersprüche zu ihrem erschreckenden Ende. Wie eben die Nonchalance, mit der ein paar gut situierte Herren in Washington kurzerhand zentrale zivilisatorische Errungenschaften wie die Genfer Konvention ausser Kraft setzen.
Damit das klappt, muss die Übertreibung in der Realität verankert sein, muss sie aus ihr hervorgehen. Das klassische und in gewisser Hinsicht wohl nach wie vor unerreichte filmische Vorbild für dieses Verfahren ist Stanley Kubricks Film Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb, der die Logik der nuklearen Abschreckung bis zu ihrem apokalyptischen Ende weiterspinnt.
Eine besondere Pointe jenes Films liegt dabei darin, dass Kubrick ursprünglich ein ernsthaftes Drama über die Gefahr eines Atomkriegs drehen wollte, nach umfangreichen Recherchen und diversen Drehbuchfassungen aber erkannte, dass der Absurdität des Themas nur auf satirischem Wege beizukommen war. Seinen realistischen Ursprung merkt man dem Film dennoch an. Trotz zahlreicher grotesker Szenen und Figuren – der ikonische, seinen Cowboyhut schwingende Yankee, der auf einer Atombombe in die Tiefe reitet, oder Peter Sellers als titelgebender Dr. Strangelove, dessen Arm von selbst den Nazigruss vollführt – weist Dr. Strangelove in vielen Details eine regelrecht dokumentarische Genauigkeit auf.
Vice strebt mit seiner Mischung der Tonlagen und Stile etwas Vergleichbares an. Der Film beruht ebenfalls auf gründlichen Recherchen, und McKay liess das Drehbuch, wohl auch aus Angst vor allfälligen Klagen, von Faktencheckern gründlich abklopfen. Die Art und Weise, wie Christian Bale die Hauptfigur spielt, mit aufwendigem Make-up und einer peinlich genauen Imitation von Cheneys Habitus und Ticks, ist ebenfalls unter diesem Realismusanspruch zu verbuchen. Die ganze Authentizitätshuberei geht aber kaum je organisch in eine gelungene Pointe über, kippt anders als bei Dr. Strangelove nicht ins Groteske. Der zur Kenntlichkeit entstellende Zerrspiegel wird Cheney nie vorgehalten. Realismus und Farce stehen losgelöst nebeneinander. Selbst wenn er im Restaurant lächelnd eine Runde Folter bestellt, bleibt Cheney die undurchsichtige Gestalt, die man bereits aus den Medien kennt.
Angeklebter Shakespeare
Langweilig ist Vice deswegen nicht. Aber just dann, wenn es darum geht, seinen Protagonisten dem entlarvenden Gelächter preiszugeben, fällt dem Film erstaunlich wenig ein. Wir sehen einen Meister der Manipulation bei der Arbeit, ohne neue Facetten an ihm zu entdecken.
So auch in einer zentralen Szene, in der Cheney und seine Frau Lynne (Amy Adams) diskutieren, ob er als Bushs running mate antreten soll. Nachdem der Off-Kommentar erklärt hat, dass niemand wisse, was sich im Hause Cheney wirklich abspielte, sinnieren die beiden im schönsten Shakespeare-Englisch über Macht und Intrigen. Richard Cheney auf den Spuren seiner elisabethanischen Namensvetter. Das ist zwar witzig und hat insofern eine gewisse Stimmigkeit, als Lynne Cheney bei McKay in doch ziemlich sexistischer Rollenzuteilung als eine moderne Lady Macbeth erscheint, die ihren Ehemann überhaupt erst zu seinen finsteren Machenschaften anstachelt. Es sagt aber nichts über Cheney und dessen wahre Beweggründe aus, ist ein angeklebter Ulk, der in keiner Weise aus dem Stoff hervorgeht.
Man könnte Vice zugutehalten, dass sich seine wahre Pointe im Hier und Jetzt abspielt, dass der Film nur ein Vorspiel für die grosse Trump-Show ist, die wir jeden Tag erleben. McKay lässt denn auch wenig Zweifel daran, dass es Leute wie Cheney waren, welche die entscheidenden Weichen für den pitoyablen Zustand der aktuellen US-Politik stellten. Die Politisierung der Gerichte, die massive Einflussnahme von Milliardären wie den Koch-Brüdern, der Aufstieg des Fernsehsenders Fox, ja, selbst das Entstehen des Islamischen Staates – in der Darstellung von Vice sind dies alles Entwicklungen, die Cheney initiiert oder zumindest begünstigt hat.
Ob das so stimmt oder nicht – im Grunde folgt aus dieser Argumentation nicht weniger als die Kapitulation der Kunst. Wozu noch ein Film wie Vice, wenn die Wirklichkeit die Satire ohnehin längst überholt hat?
Erschienen in der Republik vom 22. Februar 2019.