Nun habe ich Titanic also auch gesehen! Knapp zwei Wochen nach dem
historischen Oscarreigen habe ich es endlich geschafft. Schon lange hatte
ich mit einer Freundin diesen Kinobesuch geplant, aber erst jetzt hatten
wir uns auf einen Abend einigen können. Gutgelaunt, in Erwartung eines
hochdramatischen Kitscheposes, haben wir das Kino betreten, dreieinhalb
Stunden später haben wir es mit einer Mordswut wieder verlassen. Titanic
hat uns masslos enttäuscht.
Im Grunde habe ich James
Cameron für diesen Film bewundert. In einer Zeit, in der sich
scheinbar nur noch mit dümmlichen Actionkomödien und Ausserirdischen
Geld machen lässt, geht ausgerechnet er, der ungekrönte König
des Actionfilmes, hin und setzt dem Publikum ein megalomanes Liebes-Katastrophenepos
vor.
Mit Terminator
2 hatte Cameron schon einmal Massstäbe in Sachen Aufwand gesetzt.
Der Film hatte als erster die Schallgrenze von hundert Millionen Dollar
Produktionskosten durchbrochen und Computereffekte im grossen Stil eingesetzt.
Generell hatte damals die Meinung geherrscht, dass das Kino nun nicht mehr
aufwendiger werden könne. Weit gefehlt, denn inzwischen gilt schon
als besonders sparsam, wer es schafft, einen Actionfilm unter hundert Millionen
zu drehen. Cameron konnte diese Schmach offensichtlich nicht auf sich sitzen
lassen und überschritt nun als erster die Zweihundertmillionenmarke.
Entgegen alle Trends drehte er einen Kostümfilm ohne wirklich grosse
Stars. Das Risiko, das er dabei einging, war eigentlich kaum zu rechtfertigen.
Als die Kosten ins Unendliche zu wachsen begannen, sah sich die Fox sogar
gezwungen, Paramount mit an Bord zu nehmen, alleine wollte das Studio das
Risiko nicht mehr tragen. Cameron seinerseits verzichtete auf eine Gewinnbeteiligung.
Niemand hatte ernsthaft damit rechnen können, dass der Film je schwarze
Zahlen schreiben würde, und der jetzige Riesenerfolg überrascht
wohl auch die grössten Optimisten (Siehe unten).
Da die Geschichte des Filmes mittlerweile allgemein bekannt ist, sei
sie hier nur kurz zusammengefasst. Der mittellose Künstler Jack
(Leonardo DiCaprio)
trifft an Bord der Titanic auf Rose (Kate
Winslet), ein Mitglied der oberen Zehntausend. Die beiden verlieben
sich, obwohl sie genau wissen, das die sozialen Unterschiede zwischen ihnen
viel zu gross sind. Zu allem Übel ist Rose auch noch mit einem stinkreichen
Widerling (Billy Zane)
verlobt, der nichts unversucht lässt, um Jack loszuwerden. In der
Nacht des Untergangs finden die Geschehnisse ihren dramatischen Höhepunkt.
Nichts Neues also, sondern die uralte Geschichte der vollkommenen Liebe,
die auf dieser Welt nicht möglich ist, die durch gesellschaftliche
Umstände zerstört wird. Gegen diesen Stoff lässt sich an
sich nichts einwenden, schliesslich hat Shakespeare daraus die schönste
Liebesgeschichte der Literatur gemacht. Unglücklicherweise ist Cameron
aber kein Shakespeare.
Der Film erzählt die Geschehnisse derart plump und hölzern,
dass nicht einen Augenblick lang Gefühle auf der Leinwand entstehen.
Da wird nichts langsam aufgebaut, da gibt es keine Entwicklungen. Titanic
kennt nur eine Handvoll Gemütszustände zwischen denen einfach
nach Belieben hin und her gewechselt wird: Rose will sich umbringen, Rose
verliebt sich in Jack, Rose will sich auf Anraten ihrer Mutter von Jack
trennen, Rose kommt wieder zurück. Leisere Zwischentöne, wirklich
glaubhafte Gefühle gibt es nicht. Die Figuren sind derart holzschnittartig,
dass Terminator 2 im Vergleich dazu zu einem Musterbeispiel in Sachen
differenzierter Personenzeichnung wird.
Die Form folgt auch bei Titanic dem Inhalt, und das ist das wirklich
Ärgerliche an dem Film, denn Cameron hat bereits mehrfach gezeigt,
dass er das Medium Film meisterhaft beherrscht. Titanic ist aber schlichtweg
dilettantisch erzählt. Der Rahmen der Handlung bildet eine Forscherexpedition,
die das Wrack nach einem Juwel absucht. Alles, was sie finden, ist aber
nur eine Aktzeichnung einer jungen Frau, die das gesuchte Schmuckstück
trägt. Es ist Rose, die -inzwischen über hundert Jahre alt –
an Bord des Forschungsschiffes kommt, und sich an die damaligen Geschehnisse
erinnert. Der Kniff der Rückblende ist altbewährt und meist auch
sinnvoll, doch wird er hier derart plump eingesetzt, dass man meint, man
habe es mit einem Erstlingswerk zu tun.
Wer je in einem Buch zum Thema Drehbuchreiben unter dem Stichwort Off-
Kommentar nachgeschlagen hat, wird als erstes wahrscheinlich folgende Regel
gelesen haben: "Der Off-Kommentar darf nie beschreiben, was ohnehin auf
dem Bild zu sehen ist, denn das ist die unfilmischste aller Erzählweisen."
Der Off- Kommentar in Titanic tut aber genau das, und nur das. Wir sehen
Roses Mutter, die angesichts Jacks ärmlicher Kleidung die Nase rümpft,
und wir hören Roses Stimme: "Sie mochte ihn von Anfang an nicht."
In einer an sich gut gemachten Szene fertigt Jack die erwähnte Aktzeichnung
an. Es ist einer der wenigen Momente des Filmes, da der Zuschauer wirklich
etwas von der Spannung zwischen den beiden fühlt. Als Höhepunkt
wieder Roses Kommentar: "Das war der erotischste Moment meines Lebens."
Angesichts solchen Dillentantismus möchte man im Kino am liebsten
laut aufschreien. Fehlt nur noch, dass Cameron Schilder mit der Aufschrift
"Gefühl! Jetzt!" ins Bild hält. Dass der Himmel in allen Farben
des Regenbogens gemalt ist, und dauernd Celine Dions Geheule zu hören
ist, fällt angesichts solch grober Schnitzer schon gar nicht mehr
ins Gewicht.
Bei einem so dürftigen Drehbuch können auch die Schauspieler
nichts mehr retten. Über Winslet und DiCaprio lässt sich eigentlich
nur sagen, dass sie beide schön anzusehen sind, überzeugen können
sie nicht, könnte in Titanic aber wahrscheinlich ohnehin niemand.
Der Untergang des Schiffes nimmt fast die zweite Hälfte des Filmes
in Anspruch, die weitaus bessere Hälfte. Denn sobald Cameron die Liebesgeschichte
verlässt und diese gigantische Katastrophe inszeniert, weiss er zu
überzeugen. Das liegt nicht etwa an den Spezialeffekten, die meist
so gut sind, dass man sie gar nicht als solche wahr nimmt, Cameron weiss
ganz einfach, wie man Actionszenen inszeniert. Es ist ein Hohn, doch der
Untergang ist viel bewegender als der ganze Rest des Filmes. Winzige Nebenrollen,
nur kurz als sterbende Passagiere zu sehen, bewegen den Zuschauer mehr
als alle Jacks und Roses der Welt.
Ich gestehe, ich bin ratlos angesichts des gigantischen Erfolges dieses
Films. So sehr ich Cameron, der immer ein ungeliebter Einzelgänger
in Hollywood war, für seine früheren Filme bewundere, an Titanic
kann ich nichts Positives finden. Grossartiger Kitsch, wie allgemein zu
lesen war, ist der Film nicht. Der oft zum Vergleich herangezogene Klassiker
Gone With The Wind spielt in einer ganz anderen Qualitätsliga. Ausser
dem Untergang funktioniert nichts in dem Film. Warum die Liebesgeschichte
ausgerechnet an Bord der Titanic spielen muss, ist aber schleierhaft, denn
die historischen Geschehnisse tragen den fiktiven nicht im Geringsten.
Dass Oscars ohnehin nicht viel mit der künstlerischen Qualität
eines Filmes zu tun haben, ist hinlänglich bekannt, doch angesichts
des Titanicgrosserfolges, werden sie endgültig zur Farce.
Wenn es um Produktionskosten und Gewinnzahlen geht, ist in der Presse
oft viel Widersprüchliches zu lesen. Das liegt zum einen an der ziemlich
kreativen Buchführung der Studios und zum anderen daran, dass Produktions-
und Werbekosten oft vermischt werden. Die folgenden Schätzungen stammen
(gemäss Zoom 4/98) von J. P. Morgan Securities und sollten relativ
präzise sein: 235 Mio Dollar für Produktion und Zinsen, 27 Mio
für Kopien, 115 Mio für das weltweite Marketing, 242 Mio für
Video-Marketing und Videoproduktion, 52 Mio für Rückstellungen,
105 Mio für Verleihkosten, insgesamt also 776 Mio.
Die Einnahmen teilen sich folgendermassen auf: 220 Mio aus amerikanischen
Kinokassen, 220 Mio aus ausländischen, 360 Mio aus der amerikanischen
Kassettenauswertung, 216 Mio aus der ausländischen, 60 Mio aus dem
Verkauf der einheimischen Fernsehrechte, 65 Mio aus dem Verkauf ausländischer.
Nach dieser Schätzung stehen den 776 Mio Dollar Kosten also 1,141
Mrd Dollar an Einnahmen gegenüber, macht einen Gewinn von 365 Mio
Dollar.
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