Der Erfinder des mit Abstand grössten und erfolgreichsten sozialen Netzwerks ist ein asozialer Sonderling. Das ist die Pointe von David Finchers neuem Film The Social Network und es ist auch das, was den Film am deutlichsten von typischen Biopics unterscheidet. Fincher und sein Drehbuchautor Aaron Sorkin erzählen zwar durchaus eine Erfolgsgeschichte. Eine geradezu sagenhafte Erfolgsgeschichte sogar, an deren Ende der Protagonist als jüngster Milliardär der Welt dasteht. Doch The Social Network ist nicht einfach eine weitere Illustration des amerikanischen Tellerwäscher-Mythos. Denn das Drehbuch versagt seinem Protagonisten das zweite Ingrediens, das gewöhnlich die Dramaturgie der filmischen Biographie bestimmt: Mark Zuckerberg (Jesse Eisenberg), der Mann hinter Facebook, erfährt bei Fincher keine Katharsis, macht keinen Reifeprozess durch. Am Ende ist er, was er auch zu Beginn schon war – ein egozentrischer Ehrgeizling.
Dass Zuckerbergs Sozialkompetenz massiv unterentwickelt ist, zeigt bereits die erste Szene, in der er mit seiner Freundin Erica (Rooney Mara) bei einem Bier sitzt und sich darüber den Kopf zerbricht, wie er aus der Masse der Harvard-Studenten herausstechen könnte. Denn die maximale Punktzahl beim Eignungstest für US-Colleges ist dem Jungen im Kapuzenpullover nicht genug. Zuckerberg ist so sehr davon überzeugt, dass man ihn nicht ernst genug nimmt, dass er alles, was Erica sagt, als Angriff gegen ihn auslegt. Diese hat schliesslich genug und macht mit ihm Schluss. Der derart Gekränkte geht in sein Zimmer und schreibt als Rache am weiblichen Geschlecht eine Website, auf der jeder Student das Aussehen seiner Kommilitoninnen bewerten kann. Das bringt ihm Erica zwar nicht zurück, doch von da an ist der schlaksige Rothaarige auf dem ganzen Campus bekannt.
Das Internet ist in verschiedener Hinsicht ein Medium der Superlative, auch Erfolgsgeschichten haben hier einen Hang zum Gigantischen. So hat Facebook mittlerweile eine halbe Milliarde registrierter Mitglieder und angeblich verbrachte der durchschnittliche Internet-Benutzer vergangenes Jahr mehr Zeit auf Facebook als mit dem Schreiben von Emails. Dass die Medien da grosses Interesse an einem Film bekunden, der Zuckerberg als skrupellosen Egoisten zeigt, erstaunt nicht. Ohnehin ist Facebook ein beliebtes Ziel von Kritik – etwa wenn es um die Privatsphäre in der vernetzten Gesellschaft geht.
Doch die Fragen, inwieweit der Plot von The Social Network tatsächlich der Realität entspricht, ob Zuckerberg selbst den Film gesehen hat oder ob seine 100-Millionen-Dollar-Spende für das Schulsystem von Newark lediglich eine PR-Massnahme war, die die rufschädigende Wirkung des Films abfedern sollte, zielen an der Sache vorbei. Fincher hat im Grunde nicht einen Film über Facebook gedreht; vielmehr portraitiert sein Film einen Typus: Er erzählt davon, wie die Geeks die Welt der Wirtschaft aus den Angeln heben.
Wie die beiden Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin ist auch Zuckerberg kein Geschäftsmann, sondern ein Computerfreak. Selbst am Ende des Films, als er bereits unendlich reich ist, scheint er dann am glücklichsten, wenn er ein Notebook auf den Knien hat. Und auf die Frage, warum er die Musiksoftware, die er früher mal geschrieben hat, nie verkauft habe, reagiert er ganz erstaunt – diese Idee ist ihm schlicht nie gekommen. Bei aller Ichbezogenheit ist Zuckerberg eben auch ein typischer Vertreter einer neuen Generation von Computerpionieren, die anders als Bill Gates und Steve Jobs in der Welt der Open Source gross geworden sind, in der Computercode Allgemeingut ist.
Die Erfolge von Wikipedia, Linux, Google oder Facebook sind mit herkömmlichen ökonomischen Modellen kaum zu erklären, denn im Netz reüssiert, was offen und für viele zugänglich ist, was Gemeinschaft schafft. Im Grunde ist ja schon das Web ein riesiges soziales Netzwerk. – Wie man mit Facebook Geld verdienen kann, weiss zu Beginn allerdings niemand. Gegen Werbung, die sein Partner Eduardo Saverin (Andrew Garfield) befürwortet – und die Facebook mittlerweile anzeigt –, wehrt sich Zuckerberg im Film noch vehement. Facebook lebt von seinen Benutzern und deshalb ist es essenziell, dass diese nicht durch blinkende Banner abgeschreckt werden. Saverin, der in der klassischen Kategorie des Profits denkt, erkennt das umwälzende Potenzial von Facebook nicht und wird deshalb eiskalt abserviert. Den Winklevoss-Brüdern, zwei Sprösslingen des amerikanischen Geldadels, die Zuckerberg ursprünglich anheuern, damit er für sie eine Plattform für Harvard-Studenten programmiert, ergeht es nicht besser. Zuckerberg schreibt keine Zeile für sie, sondern nimmt ihre Idee und macht daraus Facebook.
Sowohl Saverin als auch die Winklevoss-Brüder haben gegen ihren ehemaligen Partner geklagt, und die Verhandlungen der verschiedenen Parteien, in denen sich Zuckerberg von seiner arrogantesten Seite zeigt, unterbrechen den chronologischen Handlungsablauf des Films immer wieder. Der Clou dieser Szenen ist, dass sich alle im Recht sehen: Saverin und die Winklevosses fühlen sich über den Tisch gezogen, während Zuckerberg nicht einsieht, warum er den Erfolg teilen soll, den allein er ermöglicht hat. Denn auch das ist ein Teil von Zuckerbergs Open-Source-Ideologie: Wer die ursprüngliche Idee hatte – und damit auch rechtliche Konzepte wie Urheberrecht, Patente und Copyright –, ist irrelevant; was zählt, ist einzig, was daraus gemacht wird – besonders, wenn Mark Zuckerberg dabei am Ende gross rauskommt.
Erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung vom 7. Oktober 2010.
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