Shakespeare ist derzeit unter Filmern so beliebt wie nie zuvor: Mit
schöner Regelmässigkeit werden jährlich drei bis vier Stücke
des stradfordschen Barden verfilmt. Mit einem Seitenblick auf das Theater
scheint das nicht erstaunlich, denn auch dort steht Shakespeare derzeit
wieder einmal hoch im Kurs. Trotzdem verwundert die derzeitige Shakespeareflut
doch etwas, denn nicht nur gibt es dank Olivier,
Welles und Zeffirelli
von so gut wie jedem seiner grossen Stücke bereits eine Referenzverfilmung,
auch sonst kann man beim erneuten Versuch, Shakespeare auf die Leinwand
zu bringen, eigentlich nur scheitern.
Da wäre erstens einmal das Problem der Länge: Kaum eines von
Shakespeares Stücken hat eine Laufzeit von unter drei Stunden. Was
im Theater durchaus noch im Rahmen des Normalen liegt, ist im Kino schon
an der Grenze zum Unerträglichen. Das Medium Film ist auf Geschwindigkeit
ausgelegt; geschieht in einer Szene zu lange nichts, wird sie langweilig.
Lange Dialoge sind unfilmisch und lassen die Handlung selbst bei einem
an sich actionreichen Autor wie Shakespeare schnell statisch wirken. Hat
man das Stück dann mal auf eine annehmbare Länge gekürzt,
stellt sich die Schwierigkeit der oft auch im Theater verwirrenden Vielzahl
von Personen in Shakespeares Stücken. Erst nachdem auch diese Klippe
glücklich umschifft ist, kann man sich dem eigentlichen Kernproblem
aller Shakespeareinszenierungen widmen: Wie sag ich’s meinem Kinde – oder
besser – meinem Publikum?
Die Shakespearegemeinde spaltet sich in zwei Lager: Zum einen die Konservativen,
welche die nötige Ehrfurcht vor den über 300 Jahre alten Texten
verlangen und auf ganze Bibliotheken von Sekundärliteratur verweisen
können, die jedes nur erdenkliche Thema behandelt. Zum anderen die
in jeder Generation auftretenden jungen Wilden, die mit dem Hinweis, dass
Shakespeare ein Volkstheater betrieben hat, eine schnelle, freche Inszenierung
mit viel derben Spässen fordern. Egal wie man´s macht, es ist
falsch. Einziger Trost ist, dass es sicher einmal jemand noch schlechter
gemacht hat, und dass sich das Geniale an Shakespeare auch in einer noch
so schlechten Inszenierung nicht wirklich unterkriegen lässt.
Im Kampf mit und um Shakespeare hat es in jüngerer Zeit verschiedene
Strategien gegeben. Kenneth
Brannagh entschied sich in seinem Hamlet
für den konservativen Kurs und setzte uns eine ungekürzte Vierstundenmonsterversion
vor, in der mit Stars und aufwendig inszenierten Bildern nicht gegeizt
wurde.
Einen raffinierten Mittelweg wählte Al
Pacino in seinem Looking
for Richard. Indem er das Stück als verfilmten Theaterworkshop
inszeniert, bleibt die Länge erträglich, fürs Kino weniger
geeignete Szenen können weggelassen werden, und Pacino hat reichlich
Zeit für Erklärungen und Spässe.
Baz Luhrman
wählte in seiner Version konsequent den dritten Weg: Romeo and Juliet
wird unter seiner Regie zu einem in knallige Farben getauchten Bilderorkan,
der selbst MTV langsam aussehen lässt. Luhrman will einen Shakespeare
im poppigen Gewand der Neunziger, der seinem Ursprung dennoch treu bleiben
soll. Aus Verona wird das fiktive, von Bandenkriegen heimgesuchte Verona
Beach im modernen Kalifornien. Romeo ist ein junger James Dean-Verschnitt
und Julia ein frecher Teenager. Die beiden verfeindeten Familien sind reiche
Sippen à la Denver Clan, es gibt Verfolgungsjagden in schnellen
Wagen, und die Originaltexte werden mit amerikanischem Akzent beinahe gerappt.
Der Australier wagt einen Drahtseilakt, bei dem er eigentlich nur abstürzen
kann. Und obwohl so ziemlich alles gegen sein Gelingen spricht, wirkt seine
Version dennoch nie anbiedernd oder unpassend. Der Zuschauer staunt vielmehr
über die Leichtigkeit, mit der Luhrman alle Probleme meistert.
Natürlich erzählt auch Luhrman nur die schon zu Shakespeares
Zeiten uralte Geschichte der Kinder zweier verfeindeter Familien, für
deren Liebe es in dieser Welt keinen Platz gibt. Aber er tut es auf eine
nie gesehene Weise. Schon gleich zu Beginn, als eine Nachrichtensprecherin
den Prolog liest, merkt man, dass hier einer am Werk war, der seinen Shakespeare
kennt. Auch der folgende Vorspann, eine wilde Montage aus Bildern des Hexenkessels
Verona Beach, in dem alle wichtigen Figuren ganz im Stil der Seifenoper
mit Namenseinblendungen vorgestellt werden, wirkt nicht im geringsten lächerlich.
Durch diesen kleinen Trick kennt der Zuschauer sofort alle wichtigen Protagonisten,
Luhrman hat sich der Sorge um die Verständlichkeit bereits elegant
entledigt.
Wirklich beeindruckend ist die scheinbare Mühelosigkeit, mit der
sich die altehrwürdigen Texte in unser Jahrhundert übertragen
lassen. Luhrman hat zwar grosszügig gestrichen und umgebaut, er lässt
aber keine neue Silbe zu, die nicht schon im Original stand. Der Kontrast
zwischen der alten, gestelzten Sprache und dem modernen Ambiente schadet
dem Film nicht, sie macht ihn viel mehr erst wirklich interessant.
Dennoch sind nicht alle Szenen gleich gut gelöst. Die Eröffnungsszene,
in der es zu einem ersten Zusammenstoss zwischen Angehörigen der beiden
Familien kommt, ist zu überzeichnet. Luhrman drückt ein wenig
zu sehr aufs Gas, und die Szene kippt beinahe ins Lächerliche. Interessant
ist auch, dass Luhrman die wirklich obszönen Textpassagen dieser Szene,
in der sich zwei Mitglieder des Hauses Capulet darüber unterhalten,
was sie mit den Montagueschen Jungfrauen anstellen wollen, auslässt.
Scheinbar ist Shakespeare an gewissen Stellen selbst heutigen Kinogängern
nicht zumutbar.
Auch sonst zeigt der Film, wie konservativ das Medium Kino noch heute in mancherlei Beziehung ist. Klassiker gegen den Strich zu inszenieren
– im Theater gang und gäbe -, ist man sich im Kino noch nicht gewöhnt.
Im folgenden treibt Luhrman die Handlung voran, um schnell zum ersten
Treffen zwischen Romeo und Julia zu kommen. Das grosse Fest im Hause Capulet
inszeniert Luhrman als dekadenten Transvestitenmaskenball im Stil der Rocky
Horror Picture Show. Julia tritt als Engel auf und Paris – der Prinz,
der um ihre Hand wirbt und hier der Times Man of the Year ist – als Astronaut.
Romeo, von seinem Freund Mercutio, einer schwarzen Supertunte, zum Fest
gedrängt, schleicht als Ritter der traurigen Gestalt durch das Getöse,
die Gedanken nur bei seiner unglücklichen Liebe Rosalinde. Durch ein
grosses Fischaquarium hindurch treffen sich die Blicke des Paares zum ersten
Mal. So laut der Film an gewissen Stellen ist, in dieser Szene geschieht
alles nur indirekt, durch die Blicke der beiden Hauptdarsteller.
Gemeinhin gilt die Rolle der Julia als die schwierigste im Stück,
denn Julia ist trotz ihrer Jugend die listige Pläneschmiedin, Romeo
ist der passivere Teil des Paares. Die junge Claire
Danes ist sicher die Entdeckung des Filmes. Ihre Natürlichkeit
wirkt in dem Film so überzeugend, dass Leonardo
DiCaprio, auch er ein talentierter Darsteller, daneben erstaunlich
blass wirkt. Wenn Danes kurz nach der geheimen Hochzeit im Bett liegt und
ihrem Geliebten nachschmachtet, hat man trotz der altertümlichen Sprache
das Gefühl, einem ganz normalen Teenager zuzusehen. DiCaprio, obwohl
der Ältere der beiden, wirkt oft zu jungenhaft, und seine poetisch
verträumte Art ist auch etwas zu dick aufgetragen. Dafür Nebenrollen
überzeugen fast alle, der listenreiche Priester – durch eine grosse
Kruzifixtätowierung auf dem Rücken erkennbar – ebenso wie Julias
Kammerzofe – bei Luhrman eine beleibte Mexikanerin.
Der rasante Start des Films hat zur Folge, dass eine Steigerung des
Tempos fast nicht mehr möglich ist. Das optische und akustische Feuerwerk,
das Luhrman hier abbrennt, wirkt auch für ein junges Publikum auf
die Dauer ermüdend. Langsamere Szenen, wie etwa das tödliche
Ende in einer mit einem Meer von Kerzen beleuchteten Kirche, werden dadurch
aber umso beklemmender.
Luhrman webt immer wieder optische Zitate und Anspielungen in seine
Bilderflut hinein. Zahlreiche Werbeplakate nehmen in ihren Slogans Passagen
des Textes wieder auf. Wenn die Akteure von Schwerter und Degen sprechen,
dabei aber mit grossen Knarren herumfuchteln, zeigt Luhrman kurz in einer
Grossaufnahme den Markennamen: Sword. Ein Werbeschild der Tankstelle, an
der es zur ersten Konfrontation kommt, trägt sinnigerweise den Schriftzug
“Giess mehr Öl ins Feuer”. Dekor und Kostüme sind angefüllt
mit solchen optischen Anspielungen, die dem Film zu zusätzlichem Reiz
verhelfen. Dadurch bleibt er auch nach mehrmaligem Ansehen immer noch spannend.
Romeo and Juliet ist nicht fehlerfrei. Da und dort hätte Luhrman,
der seine Herkunft von der Oper nicht verleugnen kann, einen langsameren
Gang einlegen können. Manche Figuren sind zu grell geraten. Doch angesichts
des mutigen Ansatzes kann man über solche Details getrost hinwegsehen
und die Verfilmung guten Gewissens als kongenial bezeichnen. Luhrman hat
einmal mehr bewiesen, dass Shakespeare noch immer hochaktuell ist, Imitate
werden garantiert folgen.
William
Shakespeare’s Romeo and Juliet in der Internet Movie Database
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