Die digitale Animation ist Mainstream geworden. Als ginge es darum, diesen Befund zu bestätigen, kaufte Disney letztes Jahr Pixar. Ausgerechnet das Studio, das den abendfüllenden Animationsfilm erfunden hat, blätterte für den Pionier des digitalen Trickfilms die stolze Summe von 7,4 Milliarden Dollar hin. Wahrscheinlich ist es nur Zufall – die Produktion eines Animationsfilms dauert mehrere Jahre –, aber der Protagonist des neuen Pixar-Streifen scheint fast wie ein Kommentar zu den geänderten Herrschaftsverhältnissen. Denn der neue Star im Micky-Maus-Imperium ist ausgerechnet eine Ratte. Diese hört auf den Namen Remy und ist zweifellos der knuddeligst-kuscheligste Vertreter seiner Spezies in der Geschichte des Films. Remy ist aber nicht nur nett anzuschauen, er straft auch alle bösen Vorurteile Lügen, die man gegenüber den Nagern hegt: Diese Ratte ist nicht nur äusserst reinlich, sondern auch ein echter Gourmet. Während sich die übrigen Angehörigen seines Stammes den Bauch mit Abfall vollschlagen, strebt Remy nach Höherem, nach Haute Cuisine, um genau zu sein.
Wie es der Zufall will, wird Remy bald von seiner Familie getrennt und findet sich in Paris wieder, im Gourmettempel des kürzlich verstorbenen Spitzenkochs Auguste Gusteau. Remy will bereits das Weite suchen, als er sieht, wie der ungelenke Küchenjunge Alfredo einen Topf Suppe umwirft und diese dann in banausenhafter Weise nachzukochen versucht. Remy, der sich die Stümpereien Alfredos nicht länger ansehen kann, sieht sich gezwungen, selber Hand anzulegen, und wenig später ist Alfredo als Koch engagiert, wird dabei aber stets von Remy, den er unter Kochmütze versteckt, gesteuert. Und damit es noch ein bisschen komplizierter wird, meldet sich Remys Sippe zurück und fordert ihr Stück vom Kuchen, während der Chef von Gusteaus Restaurant üble Dinge im Schilde führt.
Die Zutaten für das Drehbuch sind vielleicht nicht marktfrisch, aber auf jeden Fall nahrhaft, und fürs Auge bieten die Mannen von Pixar ohnehin immer einen Schmaus. Das Fell für Computer keine Probleme mehr bietet, führt Ratatouille an den Ratten gleich dutzendfach vor, und die Kamerafahrten durch Gusteaus Küche können es an Rasanz mit jedem Actionfilm aufnehmen. An Liebe zum Detail fehlt es ebenfalls nicht, weder wenn der Film ein märchenhaft zeitloses Paris entwirft, noch wenn es um die Hauptsache geht, ums Essen.
So meisterhaft das alles auch wieder gemacht ist, will sich wie schon bei Cars die ganz grosse Begeisterung nicht einstellen. Ratatouille ist schmackhaft, doch fehlt das entscheidende Pixar-Gewürz, das die früheren Filme zu einem Festessen für alle Altersklassen gemacht hat. Der Humor von Ratatouille ist viel kindgerechter, um nicht zu sagen: harmloser. Es fehlen die zahlreichen Gags für Erwachsene, und alles ist eine Spur zu niedlich ausgefallen. Der Film setzt zur sehr auf Rührung und zu wenig auf Humor; fast scheint es, als habe sich der neue Besitzer bereits bemerkbar gemacht, denn Ratatouille ist zweifelsohne der bislang Disney-hafteste Film aus dem Hause Pixar. Damit ist der Film noch lange kein cineastischer Fastfood, aber für ein Fünfsterne-Menü reicht es nicht ganz.
Erschien auf cineman.ch.
[…] zu The Incredibles, Ratatouille sowie Mission: Impossible – Ghost Protocol siehe hier, hier und hier. […]