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Zukunft ohne Überraschungen
Paycheck von John Woo

Wäre Philip K. Dick heute noch am Leben, er wäre steinreich. Doch das Schicksal wollte es, dass der Mann, der heute als einer der wichtigsten amerikanischen Science Fiction-Autoren überhaupt gilt, vollkommen verarmt starb. Wenige Monate nach seinem Tod erschien Blade Runner, Ridley Scotts epochale Grossstadt-Dystopie. Seither bedient sich Hollywood fleissig an Dicks immensem literarischem Werk, das aus über vierzig Romanen und mehr als hundert Kurzgeschichten besteht. In Dicks Universum ist alles ungewiss, die reale Welt nur eine vieler möglichen. Der Mensch ist im Spiegelkabinett Wirklichkeit rettungslos verloren, übermächtigen Kräften hilflos ausgeliefert. Für Dick selbst war die Frage nach dem Wesen der Realität dabei alles andere als reine literarische Spielerei. Spätestens als er – gemäss eigener Aussage – in Kontakt mit einer höheren Intelligenz kam, sah er sich selbst vor die Wahl gestellt, entweder zu akzeptieren, dass er unter Wahnvorstellungen litt, oder dass tatsächlich ein überirdisches Wesen mit ihm zu kommunizieren versuchte. – Beides nicht sehr beruhigende Vorstellungen…

John Woo ist sicher nicht die offensichtlichste Wahl, um diese paranoiden Welten zu verfilmen. Markenzeichen des gebürtigen Hongkong-Chinesen sind überbordende Action und das grosse Pathos, aber nicht raffinierte Geschichten. Woos Filme sind eine Art moderne Musicals, in denen emotionale Höhepunkte nicht mit Tanzeinlagen, sondern grossartig choreographierten Gewalt-Balleten markiert werden. Der Plot steht bei Woo vollkommen im Hintergrund, Bewegung und Emotion sind ihm alles. Paradebeispiel ist Mission: Impossible 2, in dem die Story vollkommen sekundär ist, und die ganze Aufmerksamkeit nur Tom Cruise gilt, der in der Rolle des Geheimagenten Ethan Hunt mit tänzerischer Eleganz ganze Scharen von Gegnern niedermacht.

Der Protagonist von Paycheck hat da einen geradezu gewönlichen Job: Michael Jennings (Ben Affleck) ist Ingenieur und darauf spezialisiert, elektronische Geräte für Konkurrenzfirmen zu analysieren und nachzubauen. Da dieses reverse engineering nur begrenzt legal ist, verpflichtet er sich jeweils dazu, nach ausgeführtem Auftrag alle Erinnerungen an den Job löschen zu lassen. Damit bleibt sein Gewissen rein, und niemand kann seinem Geldgeber etwas nachweisen. Das wirklich grosse Geld winkt, als der schwerreiche Industrielle James Rethrick an ihn herantritt. Drei Jahre soll Jennings an einem besonders brisanten Projekt arbeiten, als Entschädigung erwartet ihn ein Vermögen.

Die Überraschung kommt, als Jennings nach drei Jahren Arbeit mit frisch gelöschtem Gedächtnis bei der Bank erscheint und abkassieren will: Statt der erhofften Millionen erhält er nur einen Briefumschlag mit wertlosem Schrott wie einer Sonnebrille, einem Päckchen Zigaretten oder rosa Haarspray. Bestürzt muss er erfahren, dass er selbst diese Änderung angeordnet hat, erinnern kann er sich – natürlich – an nichts. Kurz darauf wird Jennings auch noch vom FBI festgenommen und sehr unsanft verhört. Wirklich rätselhaft wird es aber, als ihm die Flucht aus dem gesicherten Verhörzimmer gelingt – dank der Sonnenbrille und den Zigaretten aus seinem Umschlag. Kaum ist er der Polizei entkommen, will ihm dann auch noch sein ehemaliger Arbeitsgeber ans Leben. Jennings begreift: Während der drei gelöschten Jahre muss er für Rethrick an einer Maschine gearbeitet haben, die es erlaubt, in die Zukunft zu schauen, und die zwanzig – nur scheinbar wertlosen – Gegenstände, die er sich selbst hat zukommen lassen, ermöglichen ihm das Überleben in dieser ziemlich ungemütlichen Zukunft.

Im Original ist Paycheck eine Erzählung von knapp dreissig Seiten Länge, und es hat durchaus einen Grund, warum Dick aus dem Stoff keinen Roman gemacht hat. Denn was sich wie eine Mischung aus Total Recall und Minority Report – zwei weiteren Dick-Verfilmungen – anhört, hat einen grossen Haken: Sobald klar ist, dass Jennings jeden seiner Schritte vorausgeplant hat – und das ist spätestens nach einer halben Stunde der Fall – verliert der Film jede Spannung. Egal, was passiert, im kritischen Moment wird Jennings in seinen magischen Umschlag greifen und das rettende Utensil hervorholen. Für eine Kurzgeschichte reicht das vollkommen, auf einen zweistündigen Film ausgewalzt wird es zum Problem. Kommt hinzu, dass das Drehbuch eine entscheidende Änderung vornimmt: In der Vorlage ist Jennings Welt eine äusserst ungemütliche Diktatur, die Polizei wird zur eigentlichen Bedrohung. Der Film spielt dagegen in einem ziemlich unveränderten Nordamerika, und es bleibt unklar, warum Jennings, als er das Spiel mal durchschaut hat, nicht einfach mit dem FBI zusammenarbeitet.

Der Plot kann also nicht überzeugen. Wer nun aber meint, dass das sowieso egal ist, wenn Woo Regie führt, irrt sich gewaltig. Vielleicht konnte der Regisseur mit dem Stoff auch nichts anfangen, vielleicht hat er nach zehn Jahren in Hollywood auch jede Originalität verloren, Paycheck lässt die furiosen Feuergefechten, mit denen Woo berühmt wurde, auf jeden Fall sträflich vermissen. Die Action ist zwar solide, insgesamt aber erstaunlich brav und und fast ein wenig altbacken. Von der Woo-typische Masslosigkeit, den ausufernden Todestänzen im Kugelhagel, fehlt fast jede Spur. Am Ende kommt niemand auf seine Kosten, weder die Dick-Liebhaber noch die Woo-Fans.

Paycheck in der Internet Movie Database

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