Der fiktionale Status seiner Erzeugnisse scheint
Hollywood neuerdings einiges Kopfzerbrechen zu bereiten. Filme dürfen anscheinend nicht mehr bloss Geschichten erzählen, sondern müssen ihren Wahrheitsgehalt, ihre Authentizität noch zusätzlich garantieren können – oder ihn von Anfang an völlig negieren. Das blosse Erfinden einfacher Geschichten scheint in Verruf geraten zu sein; nur so lassen sich die gegenläufigen Trends
erklären, dass alle möglichen Spielarten des Wunderbaren – seien es
Fantasy, Superhelden oder Horrorstoffe – ebenso Konjunktur haben wie
„wahre“ Geschichten. Nie zuvor konnte man so viele Filme „based on a
true story“ im Kino sehen, die vermeintliche Authentizität soll beim
Publikum anscheinend für einen emotionalen Mehrwert sorgen – es sind ja
auch meist Tragödien, die unter diesem Label verkauft werden.
Vor diesem Hintergrund ist Mel Gibsons Idee, die Jesusgeschichte zu verfilmen, geradezu ingeniös, denn mit
einer Bibelverfilmung hat man beides: das Übernatürliche und das Wahre,
und für die Authentizität der Ereignisse steht kein Geringerer als der
Herrgott selbst ein. Denn der Anspruch von The Passion of the Christ
ist nicht weniger, als die letzten Stunden im Leben Jesu genau so zu
zeigen, wie es in den Evangelien steht, was gleichbedeutend ist mit „wie es damals war.“
Natürlich ist dieser Anspruch hirnverbrannt unsinnig,
und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Da wäre zuerst die grundlegende
Einschränkung, dass ein Film die Realität nie abbilden kann – schon gar nicht eine vergangene; im äussersten Fall gestaltet ein
Regisseur seinen Film aus Abbildungen der Realität, was aber bereits
etwas ganz anderes ist als die blanke, unverfälschte Realität selbst.
Diese ist uns ja ohnehin nicht zugänglich. Auf der anderen Seite ist
einzuwenden, dass ein religiöser Text eben kein geschichtlicher ist,
dass spirituelle und historische „Wahrheit“ keineswegs identisch sein
müssen. Solche fundamentalen Einwände scheinen Gibson nicht zu
irritieren, er hat die Geschichte so verfilmt, wie sie geschrieben
steht, und damit hat sich’s. Der Australier scheint dabei zu übersehen,
dass auch und gerade ein religiöser Text keineswegs einen eindeutigen
Sinn hat – andernfalls wären ja Jahrhunderte scholastischer Tradition
überflüssig –, und dass der Anspruch der hundertprozentigen Texttreue
schon bei normalen Literaturverfilmungen nicht haltbar ist. Kommt noch
hinzu, dass sich die vier Evangelien teilweise widersprechen. Aber
eben: Gibson lässt sich von solchen Einwänden nicht aus dem Konzept
bringen, und er scheint mit dieser Einstellung nicht alleine zu sein
(zur Illustration empfehle ich einen kurzen Blick auf die Kritik auf Christian Spotlight, wo der Kritiker seiner Besprechung ein Glaubensbekenntnis vorausschickt).
The Passion setzt ein, als Jesus (James Caviezel)
im Garten Gethsemane mit sich, seinem Schicksal und dem Teufel ringt.
Kurz darauf wird er schon festgenommen und vor den hohen Rat
geschleppt. Nach einer kurzen Gerichtsverhandlung – mehr ein
Schauprozess – wird er schliesslich vor Pontius Pilatus (Hristo Shopov)
gebracht. Was folgt, ist eine einzige Aneinanderreihung von
Gewaltszenen. Jesus wird ausgepeitscht und das mit einer im Kino nie
dagewesenen Gründlichkeit und Ausführlichkeit. Die römischen Schergen
schlagen ihn halb tot, ohne dass wirklich ersichtlich wäre wieso. Jesus
scheint ganz einfach das Pech zu haben, an ein paar besonders debile
Folterknechte geraten zu sein. Die beiden Auspeitscher, die ihrem
Auftrag mit geradezu orgiastischer Begeisterung nachkommen, sehen aus,
als seien sie direkt aus einem Monty Python-Sketch ausgebrochen.
Ohnehin erinnert der Film an manchen Stellen sehr an Life of Brian, für Gibsons tuntigen Herodes (Luca De Dominicis) scheint Michael Palin in der Rolle von Pontius Pilatus Pate gestanden zu haben.
Es gibt in Stanley Kubricks A Clockwork Orange
eine Szene, in der die Hauptfigur Alex, ein übler Schläger und
Gewalttäter, die Bibel liest und sich an der Gewalt darin aufgeilt.
Genüsslich stellt sich Alex vor, wie er als römischer Soldat Jesus
auspeitscht. Diese kurze Szene fasst Gibsons Film perfekt zusammen.
Noch bevor er zum Tode verurteilt wird, ist Jesus nur wenig mehr als
ein blutender Klumpen Fleisch. Dass die Römer spinnen, haben wir ja
schon immer gewusst, aber dass die Juden noch viel mehr spinnen, zeigt
uns erst Gibsons Film. Unter Anführung des fiesen Hohepriesters fordert
der jüdische Pöbel lauthals die Kreuzigung. Weiter geht’s also mit den
Peitschenhieben, den Quälereien und Demütigungen, bis am Ende am Kreuz
endlich gestorben werden darf.
Über Religion sollte man besser nicht streiten,
und wenn man es doch tun will, dann ist eine Filmkritik sicher nicht
der richtige Ort für einen derartigen Disput. Dennoch sei hier die
Bemerkung gestattet, dass es mir vollkommen uneinfühlbar ist, was eine
solche sinnlose Aneinanderreihung von Gewalt mit Religion oder
Spiritualität zu tun haben soll, und jeder Christ, dessen Glaube sich
einzig aus diesem Leiden schöpft, kann einem nur herzlich leid tun.
Anscheinend gibt es aber – zumindest in den USA – viele Zuschauer, die
genau ein solches, ausschliesslich auf Leiden fixiertes Christentum
leben. Anders lassen sich die Reaktionen auf den Film nicht erklären.
Die aufgelösten Zuschauer, die man am Fernsehen sehen konnte, die
Beteuerungen, dass erst der Film klar gemacht habe, wie sehr Jesus für
die Erlösung der Menschheit gelitten habe, lassen sich kaum auf den
Film selbst zurückführen. Formal ist Gibsons Film nämlich ziemlich
langweilig und kennt eigentlich nur ein Mittel zur Emotionserzeugung:
Slowmotion bei gleichzeitigem Runterfahren der Geräusche und Aufdrehen
des Pseudoethnokitschsoundtracks. Das ist schon beim ersten Mal nicht
sehr überzeugend und gewinnt auch durch vielfaches Wiederholen nichts
an Kraft. Dramaturgisch ist der Film mehr als langweilig – nicht nur
ist die Geschichte ohnehin allen im Voraus bekannt, es geschieht auch
kaum etwas ausser fast permanenter Auspeitschung. In den nicht sonderlich originell eingestreuten Rückblenden gibt’s zwar noch ein Best of Jesus inklusive Schnipseln aus
der Bergpredigt und dem Letzten Abendmahl, für so etwas wie Spannung
sorgt das aber nicht. Die Figuren sind meist so überzeichnet, dass sie
zur unfreiwilligen Parodie werden, nur Pontius Pilatus ist einigermassen interessant,
da er als einziger Protagonist des Films einen nachvollziehbaren
inneren Konflikt auszutragen hat. Regelmässige Kinogänger werden in The Passion auf jeden Fall keine Erleuchtung erleben. Auch die Gewalt ist nur in
ihrer Ausführlichkeit ungewöhnlich. Der Schockeffekt ist schnell dahin,
bald ist Caviezels Körper so sehr von Blut überzogen, dass man den
Menschen darunter schon fast nicht mehr erkennt.
Sicher: Für einen Gläubigen ohne grosse
Kinoerfahrung, der mit der Absicht ins Kino geht, sich anzusehen,
was seinem Heiland widerfahren ist – für den mag The Passion
tatsächlich ein erschütterndes Erlebnis sein, nur hat eine solche
Zuschauerhaltung wenig mit einer zeitgenössischen Auffassung von Kino
zu tun. The Passion ist weniger ein Film als eine Art Fortsetzung mittelalterlicher Passionsspiele. Dazu passend kann man auf der offiziellen Merchandising-Website
des Films Kreuznägel und andere geschmackvolle Accessoires bestellen.
Fehlen nur noch organisierte Geisselungsvorstellungen, bei denen
Peitschen an das Publikum abgegeben werden. Zuschauer mit einem
einigermassen entwickelten Verständnis von Kunst können auf Gibsons
Religionssplatter aber getrost verzichten.
Sei der Erste der einen Kommentar abgibt