Shakespeare ist seit jeher beliebter Kinostoff, doch von den berühmten Stücken des Stratforder Barden ist eines bisher kaum verfilmt worden: The Merchant of Venice. Dass es ausgerechnet der Kaufmann so selten auf die Leinwand geschafft hat, ist allerdings nicht weiter erstaunlich, denn unter allen Stücken Shakespeares ist es aus heutiger Sicht das problematischste. Der hasserfüllte Jude Shylock, der wider jede Vernunft auf seinem Vertrag beharrt und seinem Schuldner Antonio ein Pfund Fleisch aus dem Körper schneiden will, erscheint heute als übles antisemitisches Zerrbild.
Und doch wäre es voreilig, im Merchant nur ein simples Hetzstück zu sehen, denn zu Shakespeares Zeiten war Juden der Aufenthalt in England verboten, Shakespeare selbst dürfte kaum welche gekannt haben. Im elisabethanischen Theater erfüllten jüdische Figuren die Funktion lächerlicher Dämone, und als solchen muss man auch Shylock sehen &ndash nicht umsonst bezeichnete Shakespeare sein Stück als „Comedy“. Wirklich sympathische Figuren gibt es im Merchant ohnehin nicht, auch die Christen sind geldgierig und verlogen; und wahrscheinlich war das alles nicht so ernst gemeint, denn Shylock, der heute das ganze Stück dominiert, ist eigentlich eine Nebenfigur – nicht er, sondern Antonio ist der titelgebende Kaufmann von Venedig.
Freilich kann man das Stück heute nicht inszenieren, ohne sich der Antisemitismusthematik zu stellen. Michael Radford hat für seinen Film den historischen Ansatz gewählt: Schauplatz ist Venedig Ende des 16. Jahrhunderts, gedreht wurde in der Lagunenstadt, und Texteinblendungen zu Beginn erläutern die prekäre Situation der venezianischen Juden; im Ghetto eingesperrt, von den meisten Berufen ausgeschlossen, der Willkür der christlichen Bevölkerung ausgeliefert. Damit soll Shylocks (Al Pacino) Hass auf Antonio (Jeremy Irons) nachvollziehbar werden, seine Grausamkeit als Spiegelbild christlicher Heuchelei erscheinen. Naturalismus heisst die Devise, aus den teilweise krass überzeichneten Typen sollen psychologische Charaktere werden.
Das gelingt nur halb, denn Shylocks sture Bösartigkeit wird auch so nicht wirklich einfühlbar. Ohnehin hat der Film Mühe, den eindeutig nicht-naturalistischen Passagen Herr zu werden: Märchenhafte Szenen wie der Wettstreit der Freier um die schöne Portia (Lynn Collins) oder die Verwechslungskomödie am Ende fügen sich nicht richtig ein, und der Film wirkt über weite Strecken unentschieden und zögerlich. Radfords Versuch, aus Shakespeares Stück eine Studie über die Folgen von Unterdrückung zu machen, ist anständig und ehrbar, verharmlost es aber auch.
Erschienen auf Cineman.ch.
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