Kurz vor Ende des grossen Showdowns im jüngsten Star-Wars-Film The Last Jedi sieht es für die Rebell_innen schlecht aus. In einem riesigen Bunker verschanzt, wagen sie einen letzten aussichtslosen Angriff gegen den finsteren Kylo Ren, der mit seinen Truppen anrückt. Nach einem kurzen Gefecht scheint bereits alles verloren, da taucht aus dem Nichts Luke Skywalker auf und fordert Kylo heraus. Für die Held_innen der ideale Moment, um zu fliehen. Doch der Rückzug gestaltet sich schwierig. Wie sie verzweifelt feststellen müssen, wurde der Hinterausgang ihrer Festung von riesigen Felsbrocken verschüttet. Zum Glück naht Rettung in Form der tapferen Rey, die in einem Raumschiff herbeieilt. Mithilfe der «Macht», jener mystischen Kraft, die in der Welt von Star Wars alle und alles durchdringt, kann Rey die Steine hochheben und ihren Freund_innen zur Flucht verhelfen. Und auch Luke macht sich die Force zunutze. Wie Kylo zu seinem Entsetzen erkennen muss, ist sein Gegenüber kein Wesen aus Fleisch und Blut, sondern eine telepathische Projektion. In Wirklichkeit sitzt Luke meditierend auf Ahch-To, dem unauffindbarsten Planeten der Galaxie.
Es holpert so einiges in diesem Plot, doch was uns an dieser Stelle interessiert, ist die Tatsache, dass Rey einen halben Berg hochheben kann, obwohl sie den Umgang mit der kosmischen «Macht» nie gelernt hat. In der Urtrilogie musste Luke noch zwei Filme lang unter Anleitung der Jedimeister Obi-Wan und Yoda trainieren, um der Force halbwegs Herr zu werden. Rey kann schon aus dem Stand mehr. Star-Wars-Fans diskutieren eifrig mögliche Erklärungen für diese Diskrepanz, doch zumindest aus dramaturgischer Sicht ist ziemlich klar, was hier geschieht. Wir haben es mit einem Phänomen zu tun, das ich mangels besserer Alternativen als «Inflation» bezeichnen möchte und das gerade im Zeitalter des Endlosfranchisings häufig anzutreffen ist. Wie bei der ökonomischen Inflation handelt es sich dabei um eine Form von Entwertung: Was im ersten Film noch besonders und interessant war, verliert in der Fortsetzung an Glanz. Das versucht man zu kompensieren, indem man noch mehr von den alten Schauwerten liefert, was dann freilich deren Entwertung nur noch weiter verstärkt.
Besonders deutlich zeigt sich diese Tendenz in Superheldenfilmen, an deren Anfang typischerweise die Heldwerdung steht. Superman kommt von Krypton auf die Erde, Spider-Man wird von einer mutierten Spinne gebissen, Wonder Woman verlässt ihre Insel etc. Während die Heldin lernen muss, mit ihren neuen Kräften umzugehen und dabei auch Rückschläge einsteckt, erblickt parallel ein Superbösewicht das Licht der Welt. Zum Schluss treffen die beiden aufeinander, und der Schurke segnet nach hartem Kampf das Zeitliche.
Was hier sichtbar wird, ist das Prinzip der Heldenreise, das auf den Mythenforscher Joseph Campbell zurückgeht. Campbell argumentiert in seiner 1949 erschienenen Studie The Hero with a Thousand Faces, dass eine kulturübergreifende Grundform mythischer Erzählungen, der sogenannte Monomythos, existiere. Dieser zeichnet sich durch eine weitgehend feste Abfolge von Stationen aus, die die Heldin auf ihrem Weg absolviert – aus der Alltagswelt in einen Bereich voller Wunder, in dem sie mit übernatürlichen Kräften konfrontiert wird und schliesslich einen eindeutigen Sieg erringt. Zum Schluss kehrt sie mit neuen, für ihre Mitmenschen hilfreichen Fähigkeiten in die Ursprungswelt zurück.
Die Legende besagt, dass George Lucas beim Verfassen des ersten Star-Wars-Scripts stets Campbells Buch auf den Knien hatte. Ob das stimmt oder nicht – das Prinzip der Heldenreise war insbesondere in der Form von Christopher Voglers Scripthandbuch The Writer’s Journey in Hollywood enorm einflussreich und ist nicht zuletzt in Actionfilmen nach wie vor sehr präsent. Der Bereich der Wunder, in dem sich Superheld_innen normalerweise bewegen, mag zwar die Grossstadt sein, an der grundsätzlichen Struktur ändert sich dadurch aber wenig.
Das Problem ist freilich, dass die Heldenreise nicht wiederholbar ist, dass danach nichts mehr kommen kann. Der Held ist ja bereits ein Held, Superman kann nicht noch superer werden. Folglich müssen mehr Widersacher_innen her, es kommt zur Inflation der Superbösen. Sicherheitshalber wird oft auch noch auf der anderen Seite hochgerüstet. Sei es, indem die Heldin einen Sidekick erhält oder durch Teambildung, wie es in den Avengers– und Justice-League-Filmen geschieht.
Hollywood setzt heute bei Grossproduktionen fast ausschliesslich auf grosse Franchises. Doch wenn jeder einzelne Film als abgeschlossene Heldenreise und zugleich als Teil einer endlosen Reihe von Fortsetzungen funktionieren muss, geraten die Dinge durcheinander. Fernsehserien sind hier tendenziell im Vorteil, da sie in grösseren, antiken Epen vergleichbaren Bögen denken können und die Reise nicht sofort zum Abschluss bringen müssen. Bis dann der Erfolg zu weiteren Staffeln drängt und auch hier die Inflation einsetzt.
Erschienen im Filmbulletin 2/2018.
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