Endlich, endlich, endlich. Nach sechs langen Jahren des Wartens beschenkt uns Quentin Tarantino wieder mit einem neuen Film. Der Mann, der mit Pulp Fiction ganz Hollywood umgekrempelt hat, meldet sich zurück, und natürlich sind die Erwartungen aber auch die Skepsis gross. Man kann die Wirkung, die von Tarantinos zweitem Film ausging, kaum überschätzen. Pulp Fiction stellte nicht nur das Studiosystem auf den Kopf und bahnte den Independents den Weg, das Gangster-Opus veränderte auch die Art und Weise, wie man in Hollywood Dialoge schreibt und mit Gewalt umgeht. Kaum ein Filmemacher, der so schnell zum Kultregisseur avancierte wie Tarantino und sogar mit einem eigenen Adjektiv bedacht wurde – wenn auch niemand so recht weiss, was unter dem ominösen tarantinoesk genau zu verstehen ist.
Jackie Brown, der unmittelbare Nachfolger zu Pulp Fiction, war bei Erscheinen ein wenig untergegangen, der Blaxploitation-Remix war für das breite Publikum, das einen weiteren Kracher à la Pulp Fiction erwartete, wohl eine Spur zu leise und zu sehr auf die Figuren konzentriert. Danach herrschte auf einmal Funkstille; Tarantino zog sich zurück, um zu schreiben, und die Filmwelt begann zu rätseln, was von dem ehemaligen Videothekar wohl noch alles zu erwarten sei. Und nun also Kill Bill. Eigentlich hätte der Film schon viel früher fertig werden sollen, doch Uma Thurman, der Tarantino das Drehbuch auf den Leib geschrieben hat, wurde schwanger; der Drehbeginn verschob sich um ein volles Jahr. Während der Dreharbeiten zeigte sich, dass sich Tarantino und seine Produktionsfirma Miramax verkalkuliert hatten: Der Film wurde viel länger und teurer als geplant. Doch Miramax-Chef Harvey Weinstein, ansonsten dafür bekannt, Filme gegen den Willen des Regisseurs gnadenlos umzuschneiden, erinnerte sich wohl daran, dass seine Firma ohne Pulp Fiction kaum ihre heutige Macht besässe, und liess Tarantino gewähren. Einzige Konzession: Der Film erscheint in zwei Teilen, was für den Produzenten doppelte Kasse bedeutet.
Was ist nun rausgekommen nach all dem Warten? Taugt Kill Bill was? Um es gleich vorwegzunehmen: Tarantino hat keinen zweiten Pulp Fiction und schon gar keinen Jackie Brown abgeliefert. Kill Bill ist anders als alles, was hierzulande bislang auf der grossen Leinwand zu sehen war. Tarantino selbst meint, dass Kill Bill ein Film wäre, wie ihn sich die Protagonisten seiner früheren Filme gerne anschauen würden. Zur Erinnerung: True Romance, dessen Drehbuch aus Tarantinos Feder stammt, beginnt damit, wie sich die Hauptfigur Clarence im Kino ein Streetfighter-Tripple Feature reinzieht, und der Waffenhänder Ordell aus Jackie Brown schaut sich am liebsten einen Video aus der Reihe Chicks with Guns an. Kombiniert man diese beiden Filme miteinander, ist man Kill Bill schon recht nahe.
Die Geschichte – sofern man hier noch von Geschichte sprechen kann – ist von ergreifender Schlichtheit: Die von Thurman verkörperte Hauptfigur, die einfach „The Bride“ heisst, wird an ihrer Hochzeit von einem Killer-Kommando, dem sie selbst einmal angehört hat, niedergemäht; inklusive Ehemann, ungeborenem Kind und Hochzeitgesellschaft. Vier Jahre später erwacht sie aus dem Koma und hat nur eines im Sinn: Rache. Was folgt, ist eine einzige Gewaltorgie.
Tarantino ist nicht nur ein talentierter Regisseur, Kino ist für ihn das eigentliche Leben; er denkt, atmet, träumt und ist Kino, und sein jüngster Film ist ein Kind dieser Leidenschaft. Kill Bill koppelt sich von allem ab, was man irgendwie mit Realismus oder der Welt, in der wir leben, verbinden könnte. Der Film hat keine sinnvolle Geschichte, noch nicht einmal interessante Figuren, sein Zentrum ist das Kino und nur das Kino. Deshalb ist auch Entrüstung über die masslose Gewalt vollkommen unangebracht. Die Blutfontänen und abgehackten Gliedmassen, die Thurmans Weg säumen, wirken in ihrer masslosen Übertriebenheit nur noch grotesk, mit wirklicher Gewalt hat das nichts mehr zu tun. Hier geht es nur noch um cineastische – und kinetische – Energie. Der Film türmt ein visuelles Glanzstück aufs andere und strotzt nur so von filmischen Anspielungen und Bravourstücken. Als Beispiel sei das grosse Showdown im House of Blue Leaves erwähnt, wo die Braut auf eine Hundertschaft von Yakuza-Killern trifft. Thurman schlägt Saltos, wirbelt mit ihrem Schwert und halbiert ihre Gegner gleich im Multipack. Da plötzlich: Grossaufnahme auf ihre Augen, und schon geht’s in Schwarzweiss weiter. Einen tieferen Sinn hat das nicht, Tarantino zeigt nur, dass er’s auch ohne Farbe kann. Wieder Grossaufnahme, und die Farbe ist wieder da. Kurz darauf geht – wieder ohne Grund – das Licht aus, und aus den Kämpfern werden scherenschnittartige Silhoutten vor einem tiefblauen Hintergrund. Der Schlusskampf mit der fiesen Cottonmouth (Lucy Liu) findet wohl nur deshalb im Freien statt, weil sich Blut so gut auf Schnee macht.
Mit seinem jüngsten Film treibt Tarantino die filmische Selbstreflexivität auf die Spitze. Kill Bill ist Kino ohne Sinn, reines l’art pour l’art, Kino-Kino. In dem Film ist alles drin; ob Spaghetti-Western, Nancy Sinatra, billiger Splatter-Trash, Godard oder asiatische Martial Arts-Filme. Wahrscheinlich gibt es nur wenige Menschen, die ein ähnlich umfassendes Filmwissen haben wie Tarantino, entsprechend wenig Zuschauer werden all die Anspielungen und Zitate erkennen, die der Regisseur in seiner filmischen Schlachtplatte untergebracht hat. Man kann das positiv auslegen und zum Schluss gelangen, dass Tarantino der erste wirklich postmoderne Regisseur ist. Bei ihm gibt es endgültig keinen Unterschied mehr zwischen Kunst und Ramsch, ist jede Frage nach einem tieferen Sinn von vorneherein überflüssig, muss das Kino nur noch und ausschliesslich sich selbst genügen. Falls dies tatsächlich Tarantinos Anspruch ist, wird er ihm sicher gerecht und übetrifft darin auch Kollegen wie Lynch, die Wachowskis oder die Coens. Vielleicht ist Kill Bill ja der erste reine Film, dessen einziges Thema nur noch das Kino ist; vielleicht ist das aber auch gar kein Film mehr, sondern nur noch das Showcase eines ausgerasteten Filmfanatikers.
In gewissem Sinne ist Tarantino ein altmodischer Regisseur. Dem digitalen Kino im Stile von Matrix kann er wenig abgewinnen. In Kill Bill ist alles gute alte „analoge“ Tricktechnik. Das Blut ist zwar auch nicht echt, aber wenn es spritzt, werden wenigstens die Kleider dreckig. Film ist für Meister Quentin eine physische Angelegenheit, etwas, das man mit Herz und Seele leben muss. Mit seinem jüngsten Film empfiehlt sich der Regisseur als brillianter Kinohandwerker, als wahrer Meister der filmischen Trickkiste. Das ist sehr eindrücklich und für nicht allzu zartbesaitete Naturen auch unterhaltsam, letztlich aber auch ein bisschen überflüssig. Dass Tarantino sein Metier beherrscht, haben wir nämlich auch schon vorher gewusst.
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