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Wahre Geschichten und echte Filme
Inglourious Basterds und John Rabe

Im Kino ist der Zweite Weltkrieg noch lange nicht vorbei. Mit Inglourious Basterds und John Rabe kommen nun zwei Filme ins Kino, die das dunkelste Kapitel des 20. Jahrhunderts auf höchst unterschiedliche Weise behandeln.

Jede Szene hat man so ähnlich schon unzählige Male gesehen.

Jede Szene hat man so ähnlich schon unzählige Male gesehen.

Was macht einen Film wie John Rabe so uninteressant? Ist es die betont gute Absicht, dass hier ein vergessener Held geehrt werden soll? Immerhin hat John Rabe rund eine Viertelmillion Menschen gerettet. Oder ist es die Tatsache, dass Steven Spielberg die Geschichte des guten Deutschen schon viel besser erzählt hat? Der Vergleich mit Schindler’s List drängt sich von Anfang an auf, und tatsächlich wird John Rabe auch als «chinesischer Oskar Schindler» bezeichnet. Als Chef der chinesischen Dependance von Siemens war er massgeblich für die Errichtung einer internationalen Schutzzone verantwortlich. Während die japanischen Truppen in der damaligen chinesischen Hauptstadt wüteten – Historiker gehen heute von mindestens 200 000 Toten aus –, konnten Rabe und seine Verbündeten viele Chinesen vor dem Massker retten. Der Film zeigt das NSDAP-Mitglied Rabe (Ulrich Tukur) als aufrechten Deutschen, als wohlerzogenen Mann der Tat von einer teilweise geradezu grotesken Korrektheit. Während die Japaner bereits Wettbewerbe im Abhacken von Köpfen veranstalten, schreibt er noch seinem Führer und bittet ihn, dem mörderischen Treiben Einhalt zu gebieten.

Sicher: Es ist schwierig, bei diesem Stoff nicht in konventionelle Fahrwasser zu geraten. Aber wenn Spielberg mit Schindler’s List etwas bewiesen hat, dann, dass man auch innerhalb einer klassischen Hollywooddramaturgie einen historischen Stoff angemessen erzählen kann. Regisseur Florian Gallenberger kann das definitiv nicht; seinem Film gelingt selten mehr, als seine Geschichte wohlanständig zu bebildern. Da ist viel Aufwand beim Dekor sichtbar und auch die internationale Besetzung kann sich sehen lassen, aber szenisch geschieht hier fast nichts. Jede Szene hat man so ähnlich schon unzählige Male gesehen, und den Widersprüchen seines Protagonisten nähert sich der Film kaum. Wie bei vielen anderen Geschichtsepen scheint man auch bei John Rabe zu meinen, dass historische Korrektheit allein bereits für den nötigen emotionalen Mehrwert sorgt. Deshalb ist im Laufe des Films wohl auch immer wieder dokumentarisches Material aus dem Jahre 1937 zu sehen.

Eine Geschichte wird aber nicht interessanter, nur weil sie wahr ist, und das weiss kaum jemand so gut wie Quentin Tarantino. Wie wenige andere Regisseure hat sich Tarantino ein Filmuniversum geschaffen, das fast ausschliesslich auf bereits bestehende Filme verweist. Realität interessiert ihn nicht, Fiktion ist alles. Folglich ist die Handlung von Inglourious Basterds – die eigenwillige Schreibweise liegt Tarantino besonders am Herzen – auch frei erfunden.

Erzählt wird die Geschichte einer jüdisch-amerikanischen Spezialeinheit, die mit einer besonderen Mission im Feindesgebiet unterwegs ist. Ihr Ziel: Möglichst viele Nazis umzubringen und zu skalpieren und so Angst und Schrecken beim Gegner zu verbreiten. Das ist eine hirnverbrannte und vollkommen unplausible Geschichte, aber bereits die erste Texteinblendung zu Beginn des Films macht alles klar: «Once upon a time in Nazi-occupied France …» ist da zu lesen, und mit diesem Auftakt, der an den Beginn eines Märchens erinnert, wird klar etabliert, was Tarantino von sogenannter Realitätstreue hält.

Aber Inglourious Basterds ist nicht bloss ein überdrehter Actionfilm vor Nazikulisse. Er ist mehr als jeder bisherige Film des Pulp Fiction-Regisseurs eine Reflexion über das Wesen des Kinos. Tarantino mag sich nicht für wahre Geschichten interessieren, er besitzt aber durchaus ein historisches Bewusstsein – für Filme. Der zweite Hauptstrang des Films dreht sich nämlich um die Jüdin Shosanna Dreyfus (Mélanie Laurent), die in Paris ein Kino betreibt. Just in diesem Kino soll die Premiere von Goebbels neustem Propagandastreifen stattfinden – für Shosanna die ideale Gelegenheit für ein Attentat. Tarantino dagegen dient dieser Plot als Vorwand, um seine Verehrung für das deutsche Kino zu zelebrieren: Von Max Linder über Emil Jannings bis zu Georg Wilhelm Pabst und Die weisse Hölle vom Piz Palü – Tarantino kennt die Geschichte der deutschen Filmindustrie. Und er macht sich geradezu einen Spass daraus, Konventionen typischer Hollywoodfilme vorzuführen, wenn er seine Figuren immer wieder fragen lässt, ob das Gegenüber die jeweilige Sprache auch versteht. Denn anders als in den meisten US-Produktionen spielen hier Deutsche Deutsche und Franzosen Franzosen, und wenn jemand mit Akzent spricht, sorgt dies sofort für Misstrauen.

Trotz offensichtlicher Stärken scheint Inglourious Basterds aber lange Zeit nicht den richtigen Tritt zu finden: Der zweieinhalbstündige Film wirkt geschwätzig und neben dem deutschen Judenjäger Hans Lad (Christoph Waltz) fehlen die einprägsamen Figuren, die man von Tarantino gewohnt ist. Auch Brad Pitt in der Rolle des Basterds-Kommandanten fehlt trotz exzessivem Südstaatenakzent das gewisse Etwas.

Vorbereitungen für den Showdown

Vorbereitungen für den Showdown

Doch dann kommt das Ende von Inglourious Basterds und mit ihm eine schallende Ohrfeige für Filme, die wie John Rabe vorgeben, alles so zu erzählen, wie es tatsächlich war. Denn Tarantino wagt das Ungeheuerliche: Er tötet Hitler. Er sprengt ihn und die gesamte Nazi-Spitze in die Luft. 350 Nitratfilme lässt er dafür in Flammen aufgehen – für den Regisseur, der dem Film mit jeder Faser seines Körpers verfallen ist, wahrscheinlich das überhaupt grösste denkbare Opfer. Diese Szene zum Schluss, von der man von Anfang an glaubt, dass sie nicht stattfinden wird – nicht stattfinden kann, weil sie doch nicht der Realität entspricht –, ist wohl eine der irrwitzigsten Liebeserklärungen in der Geschichte das Kinos: Film kann eben alles – sogar den Zweiten Weltkrieg beenden.   

Erschienen im tachles vom 21. August 2009.

Inglourious Basterds in der Internet Movie Database

John Rabe in der Internet Movie Database

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