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Der Plot-Pointer
Going rogue

Filme brauchen Konflikte. Eine Welt ohne Hindernisse und Reibungsflächen, in der alle immer nett miteinander sind, gibt erzählerisch nichts her. Dies ist auch der Grund, weshalb das Kino so gerne kernige Querschläger – immer öfter, aber nach wie vor zu selten auch Querschlägerinnen – als Hauptfiguren hat. Wenn der Held von Anfang an aneckt und immer wieder auf Widerstand stösst, geht der Erzählstoff so schnell nicht aus. Nur deshalb schieben die unzähligen Polizistinnen, Detektive, Geheimagentinnen und investigativen Journalisten der Filmgeschichte so selten Dienst nach Vorschrift und stehen meist in spannungsgeladener Beziehung zu ihren Vorgesetzten. Dass der Tatort-Kommissar Reto Flückiger ständig grundlos Leute anschnauzt, dürfte die gleiche Ursache haben.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich der Tonfall allerdings spürbar verschärft, blosse Widerborstigkeit genügt nicht mehr. Filmheld_ innen, die heute etwas auf sich halten, setzen sich grundsätzlich über alle Regeln hinweg, ermitteln auf eigene Faust, widersetzen sich ausdrücklich den offiziellen Ordern. «Going rogue», abtrünnig werden, wie es auf Englisch heisst, gehört in Hollywood mittlerweile zum Standardvorgehen.

Bestes Beispiel hierfür ist die James-Bond-Reihe. Der berühmteste Agent im Dienste Ihrer Majestät war schon immer ein respektloser Flegel. So gern er sich aber auch mit seinen Vorgesetzten kabbelte, wenn es hart auf hart ging, erkannte er die Autorität von M immer an. Wie anders die Filme der Daniel-Craig-Ära: Seit Casino Royale, Craigs Bond-Einstand, ist kein Film erschienen, in dem 007 nicht über weite Strecken hinweg auf eigene Faust unterwegs wäre, nicht selten mit den Kollegen von MI6 im Nacken.

Daniel Craig
Daniel Craigs James Bond ist fast immer auf eigene Faust unterwegs

Ähnlich die Mission: Impossible-Reihe, die mittlerweile ohnehin die besseren Bond-Filme liefert. Superagent Ethan Hunt scheint nur dann richtig auf Touren zu kommen, wenn er auf der Abschussliste der US-Geheimdienste steht. Die Marvel- und DC-Superheld_innen schlagen sich in jüngster Zeit ebenfalls nicht nur mit bösen Supermächten herum, sondern zusätzlich mit Administration und Behörden, die ihr Treiben kontrollieren wollen. Auch Captain Kirk des Star-Trek-Reboots widersetzt sich fortlaufend den Befehlen des Starfleet Commands.

Hier wird ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Institutionen jeglicher Art sichtbar. Das MI6 der klassischen Bond-Filme war ein grundsolides Unternehmen. Ein wenig altmodisch, aber absolut verlässlich. Doch diese gemütlichen Zeiten sind vorbei. Heute gibt es in jedem Geheimdienst mindestens einen hochrangigen Maulwurf. Parallel dazu müssen die toughen Männer und Frauen der Tat fantasielose Bürogummis abwehren, die den ganzen ineffizienten Laden dichtmachen wollen. Die wahre Bedrohung geht längst nicht mehr von mit Atombomben bewaffneten Grössenwahnsinnigen aus, sondern von farblosen Politikerinnen und Managern ohne Prinzipien, Haltung und Sinn für Loyalität.

Wer mag, kann das als Indiz für eine umfassende gesellschaftliche Entwicklung sehen. Der Filmwissenschaftler Geoff King hat bereits zur Jahrtausendwende die These vertreten, dass sich Hollywoodblockbuster durch Kritik am System und dessen gleichzeitige Bestätigung auszeichnen. Der umfassende Sicherheit garantierende Staat ist in dieser Logik ebenso nötig wie der individualistische Cowboy. Strategisch ist das durchaus geschickt, ermöglicht es doch, ein breites politisches Spektrum und damit auch ein möglichst grosses Publikumssegment abzudecken. Mittlerweile scheint sich dieser Trend weiter verstärkt zu haben. In Zeiten, in denen unter Berufung auf Effizienzsteigerungsmassnahmen ständig umstrukturiert wird und fortlaufend Stellen verschwinden, geht die grösste Gefahr von den eigenen Vorgesetzten aus, die sich nur noch für Kennzahlen, nicht aber für gute Arbeit interessieren. Das System kann nur gerettet werden, wenn man es komplett zertrümmert.

Weniger hoch gegriffen zeigt sich hier einmal mehr der allgemeine Trend zum Story-Twist. Dass am Ende die Kommissarin den Mörder fasst und Iron-Man den Superbösewicht besiegt, wissen wir ja ohnehin. Also muss die Geschichte komplexer werden. Mit raffinierten Intrigen, doppeltem und dreifachem Spiel und grossen Enthüllungen; bis sich schliesslich nicht der irre lachende Mad Scientist, sondern die grauen Mäuse aus der Verwaltung als die wahren Schuldigen entpuppen.

So beliebt dieses Vorgehen ist, es überzeugt nur selten. Dass die verwickelten Plots oft weit weniger raffiniert sind, als die Filme suggerieren, ist dabei nur das eine. Für das Kinoerlebnis ist von grösserer Bedeutung, dass farblose Büroangestellte nur selten gute Schurk_innen abgeben. Wir schauen uns Thriller und Actionfilme an, weil wir uns an exaltierten Irren erfreuen wollen, kleinkrämerische Funktionär_innen erleben wir im Alltag schon mehr als genug.

Erschienen im Filmbulletin 1/2018.

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