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L. A. irrational
Mulholland Drive von David Lynch

Beginnen wir einmal anders, beginnen wir mit einer Liebeserklärung:
ich liebe David Lynch. Ich bewundere Lynch für
Wild at Heart
, ich verehre ihn für
Blue Velvet
, aber meine bedingungslose
Liebe hat er sich durch Twin Peaks erworben.
Twin Peaks ist nach wie vor eine einzigartige Erscheinung in der Geschichte des Fernsehens.
Die Serie hat den Beweis angetreten, dass auch in der am wenigsten angesehen
filmischen Form, der Soap Opera, mehr als industrielle Massenverblödung
möglich ist, dass sich auch in genuinen Fernsehformaten grosse Kunst
schaffen lässt. Twin Peaks hat – und das ist nur wenig übetrieben – mein Leben
verändert. Ohne Twin Peaks würde ich diese Zeilen wahrscheinlich nicht schreiben.

Zu einer echten Liebe gehört es nun einmal, dass man grosszügig über die Fehler des
Geliebten hinwegsieht. Und so wollen wir Lynch sein gescheitertes Science Fiction-Epos
Dune
verzeihen, und auch Twin Peaks: Fire Walk With Me, den Kinofilm zur Serie, lassen wir durchgehen,
obwohl diesem Machwerk alles fehlt, was die Serie gross und liebenswert
gemacht hat. Über
Lost Highway
würden
wir einfach höflich schweigend hinweggehen, wenn sich mancherorts nicht hartnäckig
das Gerücht halten würde, dass dieser Film in irgendeiner Weise
bemerkenswert sei. Tatsächlich markiert
Lost Highway
aber nur die Kapitulation des Filmemachers Lynch vor
seinem eigenen Image. In diesem Film wird Rätselhaftigkeit zum Stilprinzip
erhoben und jeglicher Ansatz zu einer kohärenten Geschichte in unterbelichteten
Bildern und einer ewig raunenden Tonspur ersäuft. So etwas nennt man dann
„auf Zelluloid gebannte Albträume“, „Reise in die Abgründe der
menschlichen Seele“ und „filmische Möbiusschlaufe“, Phrasen, die so
nichtssagend und leer sind wie der Film selbst.

Mulholland Drive, Lynchs jüngster Film, war ursprünglich als Pilotfilm zu einer weiteren Fernsehserie geplant, doch Lynchs
Auftraggeber, der Fernsehsender abc, für den er bereits Twin Peaks gemacht hatte, war ob des
Ergebnisses alles andere als angetan und legte den Film kurzerhand auf Eis. Mit Geld aus Europa drehte Lynch dann
einige Zeit später noch zusätzliche Szenen und schnitt ihn zu dem um, was nun in unseren Kinos zu sehen ist.
Hauptfigur des Films ist eine rätselhafte Schöne mit dem Namen Camilla (oder war es doch Rita?), die einem
Mordanschlag nur knapp durch einen Autounfall entgeht und dabei ihr Gedächtnis verliert. Zufällig (oder doch nicht?)
stolpert sie in das Appartement der angehenden Schauspielerin Betty (oder doch Diane?), die ihr bei der Suche nach ihrer
wahren Identität helfen wird. Daneben entwickeln sich noch zahlreiche Nebenplots: ein Regisseur gerät in mafiöse
Verstrickungen, hinter einem Imbissstand haust das Böse, und ein kaltblütiger Killer legt ziemlich wahllos Leute um.

In der ersten Hälfte präsentiert der Film eine Vielzahl von Handlungssträngen und Figuren, was sicher
auch mit dem ihm ursprünglich zugedachten Verwendungszweck zusammenhängt: eine Fernsehserie
braucht ein grosses Arsenal an Protagonisten und Plots, und wenn einige Dinge zu Beginn im Unklaren bleiben,
haben die Zuschauer einen Grund, in einer Woche wieder einzuschalten. In Mulholland Drive
zeigt sich ein weiteres mal, dass
Lynch immer dann am besten ist, wenn er seinen absonderlichen Ideen nicht freien Lauf lassen darf, sondern
sie in das Korsett eines existierenden Genres zwängen muss. Sei es der Thriller in
Blue Velvet oder die Soap in Twin Peaks, erst wenn sich Lynchs Phantasie an einer bestehenden
Struktur reiben muss, wird es wirklich interessant. So gelingen dem Film auch einige wunderbare Miniaturen: der Killer, der seinen
Auftrag sauber und schnell erledigt und dann immer mehr Zeugen, die zufällig ins Geschehen platzen, beseitigen muss,
bis aus dem professionell durchgeführten Mord ein wahres Inferno geworden ist. Oder einige Szenen mit dem In-Regisseur
Adam, dem buchstäblich der Boden unter den Füssen weggezogen wird. Je
länger der Film aber dauert, desto weniger interessiert er sich für seine Figuren und deren Geschichten.
Wozu denn noch die Mühe auf sich nehmen, etwas Zusammenhängendes zu erzählen, wenn man Handlungsstränge einfach abwürgen und Protagonisten kurzerhand
austauschen kann? In Mulholland Drive gibt es mehrere Identitätentransfers, ist eine Figur plötzlich jemand
ganz anderes, ohne dass das irgendwie erklärt werden müsste.
Die Erzählzeit macht ebenfalls einige Sprünge, verbiegt und verschlauft sich, Anfang und Ende werden identisch. Solche
Spielereien mit narrativen Strukturen könnten auch durchaus reizvoll sein, wenn sie mit einer gewissen
ironischen Leichtigkeit dargeboten würden. Es gehört aber zu den Eigenheiten Lynchs, dass sich seine Filme
um so bedeutungsvoller gebärden, je schlechter sie sind. Je schwächer die Szene, desto dräuender die Tonspur,
desto mehr Fahrten durch dunkle Gänge und desto wilder flackernde Neonröhren. Gerade so, als wolle der Film dem Zuschauer zurufen:
„Achtung! Hier Kunst. Jetzt wird’s tiefsinnig.“

Besonders enttäuschend an dem Film ist aber, dass Lynch scheinbar nichts Neues mehr einfallen will.
In Mulholland Drive kopiert sich der Regisseur vor allem selbst und lässt seine einst originellen
Einfälle zu ärgerlichen Klischees verkommen. Zu Beginn des letzten Viertels besuchen die beiden Frauen
mit den wechselnden Identitäten den geheimnisvollen Club Silencio,
auf dessen Bühne einige seltsame Darbietungen aufgeführt werden. Eine solche Szene findet sich fast in
jedem von Lynchs Filmen. Da wäre etwa der tanzende Zwerg in Twin Peaks, die unheimliche Gesangseinlage von
Dean Stockwell in Blue Velvet und natürlich Isabella Rossellinis Auftritt im gleichen Film.
Warum denn unbedingt wiederholen, was man schon perfekt hingekriegt hat? Vielleicht rechnet Lynch ja mit einem Publikum, das gar
nichts anderes will, als immer die gleichen Versatzstücke vorgesetzt zu kriegen. Im Zeitalter des Recyclings ist es auch ja nicht mehr als
politisch korrekt, wenn man wertvolle Ressourcen schont und die paar guten Ideen, die man mal hatte, immer
wieder ausschlachtet. Aber seien wir nicht ungerecht, denn auch in Mulholland Drive gibt es Neuerungen:
erstmals in Lynchs Werk kommt es zu einer lesbischen Liebesbeziehung. – Hurra! Wussten wir’s doch! Was dem Lynch aber
auch nicht alles einfällt!

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