Dass Roland Emmerich ein grosser Regisseur ist, wird niemand ernsthaft behaupten wollen, aber wenn es darum geht, effektvoll amerikanische Grossstädte zu zertrümmern und gleichzeitig einen naiv-klebrigen US-Patriotismus zu zelebrieren, macht dem Deutschen so schnell keiner was vor. In The Day After Tomorrow schickt Emmerich erneut sein digitales Demolierteam los, Vorwand dafür liefert eine neue Eiszeit.
Die allgemeine Umweltverschmutzung hat zu einem Kurswechsel des Golfstroms geführt, ein totaler Klimakollaps ist die Folge. Und damit das visuell auch was hergibt, erfindet das Drehbuch flugs die Blitzeiszeit, die instantan alles einfriert. Natürlich ist das blühender Unsinn, aber es sieht einfach so schön aus, wenn Manhattan innert Sekunden zum gigantischen Eispalast wird.
Der halbe Globus wird von der Katastrophe erfasst, von Interesse sind aber – wen wundert’s? – eigentlich nur die Geschehnisse in den USA. Im Zentrum steht der tapfere Kampf, den die Familie des Klimaforschers Jack Hall (Denis Quaid) gegen die Elemente führt. Wie in Independence Day ist zwar auch der Präsident mit von der Partie, diesmal straft der Regisseur die Regierung seiner Wahlheimat aber mit Liebesentzug: Schuldig an der ganzen Misere ist nämlich ein Dick Cheney ähnelnder Vizepräsident, der aus wirtschaftlichen Überlegungen das Kyoto-Protokoll hintertrieben hat. Mr. President himself kommt wenig rühmlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, und geradezu subversiv ist die Szene, in der eine amerikanische Massenflucht in den rettenden Süden stattfindet; für einmal wird Mexiko von illegalen Einwanderern überrannt. Wird da vielleicht so etwas wie Kritik laut?
Keine Angst, noch bleibt bei Emmerich die Kirche im Dorf, in erster Linie geht es auch in diesem Film um reisserische Action, wenn der liebende Vater seinen in New York festgefrorenen Sohn retten will. Da hat’s für jede Zuschauergruppe was dabei: Ökologie, Bergsteigerdrama, wahre Männerfreundschaft, hungrige Wölfe, ein Penner, der wichtige Survival-Tips weitergibt, Nerds, die über sich hinauswachsen, und ein Intellektueller, der das geistige Erbe der Menschheit – hier in Form der Gutenbergbibel – rettet.
Am Ende ist nicht nur die Familie wiedervereint, auch der zwielichtige Vize ist geläutert und hat seinen Platz als Landesvater eingenommen, um sich beim Rest der Menschheit zu entschuldigen. Na also: Doch ein guter Kerl, und eigentlich hat er’s ja auch nie bös gemeint.
Zuerst erschienen im Züritipp vom 27. Mai 2004.
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