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DER SPOILER
Das Schweigen der Logik – Silence of the Lambs von Jonathan Demme

Wohl kaum ein Genre baut so sehr auf Plottwists und falsche Fährten wie der Psychothriller. So schwierig diese Kategorie grundsätzlich auch zu fassen ist, lässt sie sich doch durch etwas Gemeinschaftliches definieren: Was Filme wie Psycho, The Parallax View, Basic Instinct oder Shutter Island verbindet, ist, dass sie den Zuschauer fortlaufend an der Nase herumführen und seine Vermutungen über die weitere Entwicklung des Plots ins Leere laufen lassen. Alfred Hitchcock machte in Psycho, dem Urfilm des Genres, bereits eine ziemlich freche Vorgabe, als er die vermeintliche Hauptfigur Marion Crane in der Mitte des Films einfach niederstechen liess. Wer glaubte, es gehe dem Meister des Suspense um die Geschichte einer Sekretärin, die sich 40 000 Dollar unter den Nagel reisst, sah sich getäuscht. Die wahre Hauptfigur von Psycho ist natürlich Norman Bates, Marions Beute dagegen landet bald im Sumpf. Martin Scorseses Shutter Island, der in vielem ohnehin wie eine unbeabsichtigte Hitchcock-Parodie wirkt, setzte noch einmal einen drauf: Zwar schafft es der von Leonardo DiCaprio gespielte Protagonist mehr oder weniger unbeschadet bis zum Ende, der Kriminalfall, den er aufklären will, existiert aber nur in seinem kranken Kopf.

Anthony Perkins als Norman Bates
Der Vater aller filmischen Psychokiller

Auch ein anderer Klassiker des Genres spielt mit falschen Karten und erzählt in Wirklichkeit eine ganz andere Geschichte, als er vorgibt. Die Rede ist von Jonathan Demmes The Silence of the Lambs, der vor 25 Jahren – am Valentinstag 1991, um genau zu sein – in die US-Kinos kam. Der Film war nicht nur an der Kinokasse sowie bei der Kritik äusserst erfolgreich und heimste Oscars in den fünf Königsdisziplinen ein, er sorgte auch für eine regelrechte Schwemme von genialen Serienmördern und nicht minder cleveren Profilern. Von Kevin Spacey in Seven bis zu Michael C. Hall in Dexter – sie alle sind Nachkommen von Anthony Hopkins’ diabolischem Hannibal Lecter.

Ganz zu schweigen von den verschiedenen Prequels und Sequels zu Demmes Film. Hannibal, Ridley Scotts Fortsetzung aus dem Jahre 2001, zeigt bereits im Titel an, was die eigentliche Faszination von The Silence of the Lambs und damit auch die nachhaltige Wirkung des Films ausmachte: die Figur des kannibalischen Psychiaters Hannibal Lecter. Er ist das Zentrum des Films, sein Mastermind und Strippenzieher. Es ist seine Figur und natürlich vor allem Hopkins’ Interpretation dieser Rolle, die die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zieht und gekonnt davon ablenkt, wie unglaublich konstruiert und nachgerade absurd Ted Tallys Drehbuch aufgebaut ist.

Anthony Hopkins und Jodie Foster
Rededuelle im Verlies

Wir erinnern uns: Die ehrgeizige FBI-Anwärterin Clarice Starling wird von ihrem Vorgesetzten Crawford zu Lecter geschickt; angeblich, weil sich dieser von einer Befragung Lecters Erkenntnisse für seine aktuellen Ermittlungen erhofft. Crawford ist nämlich hinter Buffalo Bill her, einem Killer, der seine Opfer mit Vorliebe häutet. Allerdings spielt Crawford nicht mit offenen Karten. Nicht nur hofft er, dass Lecter auf die junge Frau besser ansprechen wird als auf frühere Polizisten, er scheint zudem von Anfang an zu ahnen, dass der seit Jahren eingekerkerte Psychopath das FBI zu Bill führen kann. Eine Ahnung, die sich als begründet erweisen wird, denn tatsächlich war Bill einst bei Lecter in Behandlung.

«It takes one to know one», besagt ein englischsprachiges Sprichwort, und just dies ist der Clou von The Silence of the Lambs: Lecter weiss von Anfang an, wer der Mörder ist. Das ist nicht nur ziemlich unplausibel, sondern im Grunde auch eine schlechte Ausgangslage für ein spannendes Drehbuch. Lecter müsste nur mit dem Namen herausrücken, und schon wäre der Fall gelöst. Da Lecter aber Sinn für Dramaturgie und in seiner Zelle ohnehin nicht allzu viel zu tun hat, entscheidet er sich für ein unterhaltsames Spielchen. Wenn Clarice ihm ihr Kindheitstrauma enthüllt, revanchiert er sich mit Hinweisen zur wahren Identität Bills. Oder in den Worten des humanistisch gebildeten Lecters: «Quid pro quo.»

Das Kino hat von jeher eine Vorliebe für geniale Bösewichte, und mit Lecter hält dieser Typus auch im Serial-Killer-Film Einzug. Faszinierte Norman Bates durch seine Janusköpfigkeit und Leatherface aus The Texas Chain Saw Massacre durch seine grotesk überzeichnete Unmenschlichkeit, gesellt sich in The Silence of the Lambs eine verfeinerte Kultiviertheit hinzu. Lecter liebt klassische Musik und die Kunst der Renaissance, er liest in seiner Zelle Lyrik, ist ein vollendeter Zeichner – und verspeist Menschen. Anders als viele seiner Vorgänger, aber auch als Bill, scheint er nie der Sklave seiner Triebe zu sein. Seine Handlungen entstehen nicht aus dem Affekt heraus, sondern sind stets genau kalkuliert.

Jodie Foster
Der Showdown

Wie weit Lecter vorausplant, zeigt sich, als er Clarice mit dem ersten Hinweis versorgt. Dieser führt sie zu einem abgetrennten Kopf in einem Lagerraum. Das Haupt gehört Benjamin Raspail, der einst Bills Liebhaber war. Zwar sind sich die verschiedenen Filme und Thomas Harris’ Romanvorlage uneins darüber, ob Bill oder Lecter Raspail auf dem Gewissen hat, sicher ist aber, dass Lecter dessen Überreste inklusive aparter Requisiten wie einer kopflosen Kleiderpuppe in dem Lagerraum arrangiert hat. Und wozu das? Wusste er schon damals, dass aus Bill ein Serienmörder werden und ihm die Leiche von dessen Geliebten im Geschacher mit dem FBI Jahre später gute Dienste leisten würde? Der Kopf im Warenlager ist eine der Absurditäten im Drehbuch, aber eine effektvolle, denn sie unterstreicht nicht nur, wie gerissen und vorausschauend Lecter agiert, sondern macht zudem deutlich, dass The Silence of the Lambs in seinem Kern nicht davon handelt, wie Clarice Bill zur Strecke bringt, sondern wie Lecter die FBI-Agentin benutzt, um seinen Ausbruch in die Wege zu leiten. Einen Ausbruch, der sich bei genauerer Betrachtung ebenfalls als wenig plausibel entpuppt. Aber um Logik und Wahrscheinlichkeit geht es bei The Silence of the Lambs ohnehin nicht. Sowohl Lecter als auch der Film wissen, dass es weitaus wichtiger ist, sich als clever zu inszenieren, als tatsächlich clever zu sein.

Erschienen im Filmbulletin 3/2016.

Das Schweigen der Logik in der Internet Movie Database.

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