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Stanley Kubrick

Stanley Kubrick. Inside the Mind of a Visionary Filmmaker

Als Stanley Kubrick 1999 starb, hinterliess er nicht nur ein epochemachendes Oeuvre, sondern auch ein stattliches Anwesen, in dem sich das Material seiner Filme stapelte. Irgendwann wollte er das alles mal aufräumen. Diese Aufgabe übernahm nach seinem Tod ein Archivar des Filmmuseums Frankfurt, der während acht Monaten tausende von Skizzen, Bildern und Requisiten sichtete und in eine Datenbank aufnahm. Die daraus entstandene Ausstellung gastiert nun nach einigen Zwischenstationen im Sihlcity in Zürich.

Film im Museum hat oft etwas Ernüchterndes. Zwischen Fotos, Kostümen und Kulissen verflüchtigt sich der Zauber der Leinwand meist. Auch in der Kubrick-Ausstellung erlebt der Besucher solche Augenblicke der Desillusionierung; etwa wenn man plötzlich dem Starchild aus 2001: A Space Odyssey gegenübersteht und sich einer der erhabensten Momente der Filmgeschichte auf eine simple Plastikpuppe reduziert.

Insgesamt sind solche Erfahrungen aber selten in der überreichen Ausstellung, die nicht nur die Filme Revue passieren lässt, sondern auch einmalige Einblicke in die Arbeitsweise des Regisseurs gibt. Neben den obligaten Wiedererkennungseffekten, die Requisiten wie die Schreibmaschine oder die Axt aus Shining hervorrufen, gibt es auch viel Neues über die Entstehung der Filme zu entdecken. Die Ausstellung ist diesbezüglich vorbildlich aufgebaut: Ein schneller Durchgang entlang den Bildern und Objekten ist ebenso möglich wie stundenlanges Stöbern in Unterlagen, Briefen und Berichten.

Kubrick war ein Besessener, ein Detailfanatiker, der sich nie mit der ersten Lösung zufrieden gab. Sein legendärer Perfektionismus beschränkte sich dabei keineswegs auf die Filmtechnik. Neben technischen Glanzstücken wie der Speziallinse, die die Kerzenlichtaufnahmen in Barry Lyndon ermöglichte, oder der erstmals in 2001 eingesetzten Frontprojektion, die hier jeder selbst ausprobieren kann, zeigt die Ausstellung den Regisseur vor allem als akribischen Rechercheur und peinlich genauen Organisator. Zu jedem Film gibt es unzählige Skizzen und Pläne zu bestaunen; am beeindruckendsten ist diesbezüglich die Abteilung zu dem nicht realisierten Napoleon-Projekt. In einem Karteikasten ist da das ganze Leben Napoleons verschlagwortet, jede Karteikarte mit farbigen Reitern versehen, entsprechend den Figuren aus Napoleons Umfeld. Wie diese Informationsfülle je zu einem Film gerinnen hätte sollen, bleibt allerdings unklar, und so macht die Ausstellung auch deutlich, dass wahres Genie letztlich unergründlich bleibt.

„Er wollte es einfach so gut wie möglich machen“ – Ein Interview mit Jan Harlan

Jan Harlan war seit Barry Lyndon der ausführende Produzent bei allen Filmen Stanley Kubricks. Seit dessen Tod verwaltet er gemeinsam mit seiner Schwester, der Witwe Kubricks, den Nachlass des Regiegiganten.

Jan Harlan, Sie haben ja ein besonderes Verhältnis zu Basel.

Harlan: Ja natürlich. Als Teenager sind wir am Wochenende oft nach Basel gefahren und haben uns zwei, drei Filme angesehen. Ich bin in Freiburg aufgewachsen, und dort wurden alle Filme nur synchronisiert gezeigt. Ich habe in Basel wesentliche Schlüsselerlebnisse gehabt, als ich gemerkt habe, wie unvernünftig es ist, das zu tun.

Über Kubrick kursieren viele Anekdoten. Einerseits wird er als Perfektionist bezeichnet, andere beschreiben ihn in seiner Sammelwut dagegen als vollkommen chaotisch. Wie haben Sie ihn erlebt?

Das sind alles solche Klischees. Er war sorgfältig in Bezug auf seine Filme. Und diese Sorgfalt bedeutete auch, dass er oft seine Meinung änderte. Wenn man heute eine bessere Idee hat, dann schmeisst man halt das raus, was man gestern gedacht hat. Perfektionist ist so ein Schlagwort. Er wollte es einfach so gut machen wie möglich.

Wir sitzen hier in der Ausstellung gerade bei den Materialien zu A.I., dem Film, den Steven Spielberg nach Kubricks Tod vollendet hat. Denken Sie, er wäre zufrieden gewesen mit dem Ergebnis?

Sehr. A.I. war ein Thema, das er sehr geliebt hat, das er sehr wichtig fand. Aber er hatte Furcht davor, mit einem kleinen Jungen zu drehen, weil er so langsam gearbeitet hat. Und es ist ganz entscheidend, dass sich der Junge nicht verändert, denn er soll ja ein Roboter sein. Wir haben dafür Experimente gemacht und versucht, einen solchen Jungen zu bauen. Das war schrecklich. Weil niemand glauben würde, dass sich Monica [die Mutter] in dieses Kind verliebt. Auf jeden Fall, er konnte es nicht machen, er hat dann Eyes Wide Shut gemacht. Da war auch ja der wichtigere Film für ihn, nachdem er dreissig Jahre lang an dem Drehbuch gekaut hat.

Hat er darunter gelitten, dass er so lange an seinen Filmen hatte?

Manchmal. Er hätte gerne ein paar mehr gemacht. Gleichzeitig war er der Meinung, es sei nicht notwendig, dass man Filme macht. Es werden ja genug gemacht. Und er war sehr daran interessiert, dass seine Filme Substanz haben. Sie mussten unterhalten – das ist ein völlig legitimer Anspruch des Publikums –, aber der Film musste auch Substanz haben.

Kubrick wird oft als der grosse Visionär beschrieben, der schon im Voraus genau wusste, wie ein Film auszusehen hatte. Hier in der Ausstellung hat man eher das Gefühl, dass er sich möglichst viele Optionen schuf, aus denen er dann auswählte.

Das freut mich sehr, dass Sie zu diesem Schluss kommen. Das zeigt, dass die Ausstellung gut ist. Es ist nicht so, dass er sich von Anfang an festgelegt hat. Mit der Musik zum Beispiel: Was haben wir da rumgebastelt und versucht; das und jenes Stück, und immer wieder geändert. Es war nicht alles festgelegt. Der Schostakowitsch-Walzer in Eyes Wide Shut stand schon vorher fest, weil das einer der wenigen Walzer in Moll ist. Aber das war eine Ausnahme.

Jan Harlan

Eyes Wide Shut war ja zumindest in den USA nicht der erhoffte Erfolg. Glauben Sie, dass Kubrick, wenn er noch leben würde, im gleichen Stil hätte weiter arbeiten können, oder hätte das finanzielle Konsequenzen gehabt?

Ich glaube, er hätte weitergearbeitet wie immer. Er hätte dann einfach einen viel billigeren Film gemacht. Zum Beispiel wollte er Eyes Wide Shut schon früher machen. Das war vor Shining. Er wollte ihn als Schwarzweissfilm in London und Dublin drehen. Die Geschichte sollte auch schon in New York spielen mit Woody Allen in der Hauptrolle. Das wäre ein Arthouse-Film geworden, ganz billig. Aber er hat es damals nicht gemacht, weil er mit dem Drehbuch nicht zurecht kam. Er fand den Schluss nicht und hat dann eben Shining gemacht. Aber er wäre schon in der Lage gewesen, einen Film mit einem kleineren Budget zu machen.

Wenn man sich den Napoleon-Karteikasten ansieht, kriegt man den Eindruck, das Computer das waren, auf das Kubrick sein Leben lang gewartet hat.

Durchaus. Er hatte auch immer den neusten Laptop. Er wäre sehr überrascht gewesen, wie sich das jetzt entwickelt hat. Kommunikation war für ihn sehr wichtig, er reiste ja nicht wegen seiner Flugphobie. Er hat viel telefoniert, und wir hatten auch eine ganz frühe Faxmaschine, als das noch so ein Brummer war. Und natürlich ein Telex.

Obwohl Kubrick aus einem typischen jüdischen New Yorker Milieu stammt, fehlt das Jüdische in seinen Filmen vollständig.

Wenn Sie nach ganz tiefen jüdischen Aspekten in der Philosophie von Kubrick suchen, dann müssen Sie sich 2001 ansehen. Die grosse Wende, die das Judentum gebracht hat, war ja, dass Gott zum ersten Mal nicht mehr eine Sonne, ein Tier, ein Baum oder ein Berg war. Gott hatte keinen Namen, war Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig. Ein völlig neuer Gottesbegriff. In 2001 ist ein durchaus ursprünglich jüdisches Element drin, indem der Film diesen unglaublichen Respekt ausdrückt, vor dem, das wir nicht wissen; „respect for the unknowable.“

Kubrick hat sich selbst als Agnostiker bezeichnet.

Ja. Agnostiker heisst ja nur, dass man es nicht weiss. Er hätte sich dagegen gewehrt, als Atheist bezeichnet zu werden. Wenn man versuchte, Erklärungen aus ihm herauszubekommen über 2001 und die ganze Philosophie dahinter, sagte er immer: „Erkläre nie etwas, das du selbst nicht verstehst“. 2001 ist eine Verneigung. Ein sehr respektvoller Film.

Kubrick hatte nicht nur eine Abneigung dagegen, seine Filme zu erklären, er redete auch sonst kaum mit der Presse.

Er mochte es nicht, es machte ihm keinen Spass, er wollte auf gar keinen Fall seine Filme erklären. Und er war nicht jemand, der sich schnell Fremden öffnete. Er musste die Leute kennen lernen. Wenn er die erstmal kannte, dann war sehr offen. Er hatte auch ein sehr lebendiges grosses Haus, in dem viel passierte. Er hatte ja auch eine grosse Familie, und da war immer viel los. Das, was ich jetzt mit Ihnen tue, das hätte er aber nicht gerne gemacht.

War das ein bewusster Entscheid von Ihnen und Ihrer Schwester, nach seinem Tod an die Öffentlichkeit zu treten und ein paar Vorurteile zu widerlegen.

Ja. Es ist für auch uns viel leichter. Wir sprechen ja nicht über uns selbst.

„I don’t wanna be the party jew“ – Ein Interview mit Christiane Kubrick

Sie haben Stanley Kubrick 1957 bei den Dreharbeiten zu Paths of Glory kennen gelernt und ihn kurz darauf geheiratet. Seither haben Sie nie mehr in einem Film gespielt.

Christiane Kubrick: Nein. Ich hab mir mein Geld mit Theater spielen verdient. Ich komme aus einer Theaterfamilie, wo das alle gemacht haben, wollte aber eigentlich Malerin werden. Ich habe immer versucht, mir mit Filmen ein Malerstudium zu finanzieren. Als ich Stanley geheiratet habe, konnte ich das. Ich hab dann in Kalifornien gleich Malerei studiert.

Ihr Künstlername war Susanne Christiane.

Eigentlich heisse ich Christiane Susanne Harlan. Ich habe den Namen in Susanne Christiane geändert. Mein Onkel war Veit Harlan [der Regisseur von Jud Süss], und mich hätte damals niemand genommen. Da habe ich den Nachnamen weggelassen. Ich habe Stanley aber später gesagt, dass das nicht mein richtiger Name sei, und er hat mich auch Christiane genannt und nicht Susanne.

Sie kommen ja aus sehr gegensätzlichen Milieus. Sie als Deutsche mit dem Namen Harlan und Kubrick, der einen jüdischen New Yorker Hintergrund hat.

Er hätte nie gedacht, dass er eine Braut aus dem Hornissennest Deutschland mitbringen würde. [Lacht] Gleichzeitig hat er mich sehr schnell sehr gut kennen gelernt. Und man kann ja nichts für seine Herkunft. Er hat keinen Generationenhass mitgebracht. Und seine Eltern waren sehr nett zu mir und haben mich das nie fühlen lassen. Natürlich hatte ich grosse Angst, dass mich seine Familie nicht mag. Wir haben damals furchtbar viel davon gesprochen. Denn für meine ganze Generation war das damals sehr schwierig, wenn man Menschen liebt, die man nicht entschuldigen kann. Das ist sehr kompliziert. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht aus dieser Schwierigkeit.

Christiane Kubrick

War Kubrick praktizierender Jude?

Er war nicht religiös.

Gab es bei Ihnen im Winter einen Weihnachtsbaum oder einen Chanukka-Leuchter?

Beides.

Und wann gab es Geschenke?

Immerzu. Er hatte – das sieht man ja an 2001: A Space Odyssey – ein spirituelles Bewusstsein. Er hatte das, was alle intelligenten und sensiblen Menschen haben, die ohne Dogma leben wollen. Aber er war überhaupt nicht religiös. Er mochte keine Kirchen; ich auch nicht.

Aber er hat sich selbst als Jude gesehen?

Ja, das schon. Wir haben oft darüber gelacht. Er hat immer gesagt: „Natürlich bin ich Jude.“ Und ich habe immer gesagt: „Du bist eigentlich gar nichts. Antisemiten sagen du bist Jude, weil du wie einer aussiehst. Und du kommst aus einer jüdischen Familie.“ Und wir haben sehr traurige Gespräche geführt, wer auf der Welt unbeliebter ist, die Deutschen oder die Juden. [Lacht] Ein Hauptgesprächsthema unserer Zeit.

Leute, die Kubrick gekannt haben, berichten, dass er oft jüdische Witze erzählt hat, dass das Jüdische in seinem Leben sehr präsent war. In seinen Filmen aber fehlt es völlig.

Er hat sehr viele jüdische Witze erzählt, er war ein typischer New Yorker Jude. Aber in seinen Geschichten kommt das in dem Sinne nicht vor. Er wollte einen Film über den Holocaust drehen, Aryan Papers, hat es dann aber doch nicht getan. Erstens, weil Schindler’s List gerade heraus kaum, und zweitens, weil er es nicht mehr ausgehalten hat. Er hat so viel darüber gelesen. Er meinte immer, man könnte dieses Thema nicht verfilmen. Weder die Schauspieler, noch der Regisseur, noch das Publikum könnten die Wahrheit ertragen.

Aryan Papers sollte auf dem Roman Wartime Lies von Louis Begley basieren.

Er hat zuerst gemeint, er könne die Geschichte anhand dieser Vorlage verfilmen. Aber er hat sich dann ja umentschlossen und die Idee aufgegeben. Es gelang ihm nicht. Er sagte immer: „Ich bin wieder um all die Themen herumgesprungen, auf die es wirklich ankommt, weil ich nicht weiss, wie ich es machen soll.“ Er hat die ganzen Sachen gelesen, die Unterlagen der SS etc. Ganz genaue Beschreibungen, alle verschiedenen Foltermethoden und die medizinischen Versuche. Und er sagte: „Wie soll ich das jetzt drehen? Wie? Wenn ich das nicht drehe, dann ist es wieder eine Lüge, wieder ein Zudecken, wieder ein ,Davon können wir nicht reden’. Dann bin ich genauso oberflächlich wie die anderen. Aber ich weiss nicht, wie ich es machen soll. Wie kann man das jemandem zumuten?“ Die einzelnen Folterqualen, die fürchterlichen Sachen, die passiert sind, die müsste man eigentlich zeigen, um der Sache gerecht zu werden. Aber wie? Und daran ist er gescheitert. Er war sehr deprimiert darüber, er wollte das gerne tun, aber es ist nicht dazu gekommen.

Dass das Thema Judentum mit Ausnahme von Aryan Papers in seinem Werk so kein Thema ist, ist eigentlich erstaunlich. Selbst bei Eyes Wide Shut, seinem letzten Film, fehlt das Thema völlig. Dabei ist die Hauptfigur in der Vorlage, in Arthur Schnitzlers Traumnovelle, Jude, und mit New York als Schauplatz würde sich das Thema auch anbieten, doch im Film ist davon nicht zu sehen. War das ein bewusster Entscheid oder hat sich das einfach so ergeben?

Er hat nicht darüber nachgedacht. Ganz früh, als Fotojournalist für die Zeitschrift Look, wurde er mit Antisemitismus konfrontiert. Die Leute haben ihn nicht ins Restaurant gelassen oder er wurde überall rausgeschmissen, als er eine Reportage in den Südstaaten machen musste. Ich war einmal ganz wütend, als wir in Vermont nicht in ein Lokal gelassen wurden. Wir hatten schon einen Tisch reserviert, und er kam rein, und sie sagten, es sei nichts frei. Stanley drehte sich einfach um und ging weg. Er wusste sofort Bescheid. Ich sagte: „Das kannst du dir doch nicht gefallen lassen“, und er antwortete: „Denk nie über solche Dinge nach, da kannst du nichts machen.“ Er hatte als Resultat davon eine gewisse Verachtung für die Menschen. Er nahm deshalb auch nie an gesellschaftlichen Anlässen teil. Er wurde in England, wo wir lebten, oft eingeladen, von Aristokraten und so weiter. Und er hat immer gesagt: „Da gehe ich nicht hin. – I don’t wanna be the party jew.“ Er hat schon als ganz junger Mann ein für allemal entschieden, dass er sich davon nicht beeinflussen lassen wollte.

Erschienen im Tachles vom 4. Mai 2007.

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