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Zeit zum Sterben? – Zu James Bond in der Craig-Ära

Für einen kurzen Moment sah es so aus, als sei die Welt wieder in Ordnung. Am Ende von Skyfall (2012), dem dritten Einsatz von Daniel Craig als Agent im Geheimdienst Ihrer Majestät, hatte James Bond nicht nur gelernt, wie man einen Martini trinkt, Ralph Fiennes hatte zudem die Nachfolge Judi Denchs als M angetreten, und im Vorzimmer bezog Naomie Harris als neue Miss Moneypenny Stellung. Und als ginge es darum, alle Zweifel auszuräumen, war auch die Türe zu Ms Büro wie zu Bernard Lees Zeiten beidseitig gepolstert, und selbst der Hutständer neben Moneypennys Schreibtisch fehlte nicht. Wie weiland, als Sean Connery beim Betreten des Vorzimmers jeweils zielsicher seinen Hut durch die Türe warf. Nach einem über drei Filme hinweg inszenierten Reboot war Bond nun endlich der, der er schon immer war.

Moneypenny inklusive Hutständer – am Ende von Skyfall schien wieder alles an seinem Platz

Zumindest durften die Bond-Fans dies für kurze Zeit hoffen. Doch dann kam Spectre. Wie der unerhört erfolgreiche Skyfall erneut unter der Regie von Sam Mendes, und es schien beinahe, als habe es der Brite in seinem zweiten und vorläufig letzten Bond-Film darauf angelegt, alle Hoffnungen zunichtezumachen, die er mit dem Ende von Skyfall (2012) geweckt hatte. Denn obwohl in Spectre mit Ernst Stavro Blofeld Bonds Lieblingsbösewicht und dessen titelgebende superböse Geheimorganisation auf die Leinwand zurückkehrten – komplizierte Rechtsstreitigkeiten hatten dies während mehr als drei Jahrzehnten verhindert – und der Film so viele Zitate früherer Bond-Abenteuer enthielt wie kein anderer der Reihe, stimmte an Spectre so gut wie nichts.

Besonders ärgerte die Fans, dass sich die Produzent*innen Barbara Broccoli und Michael G. Wilson, die das Familienunternehmen James Bond in zweiter Generation führen, im Zeitalter von Mega-Franchises und crossmedialen erzählerischen Universen anscheinend genötigt sahen, in einem Akt von Retconning alle Craig-Filme nachträglich zu einem grossen erzählerischen Kontinuum zurechtzubiegen. Hinter aller Unbill, die Bond je widerfahren ist, vom Tod seiner grossen Liebe Vesper Lynd am Ende von Casino Royale (2006) bis zum Racheplan Raoul Silvas in Skyfall, soll nun nämlich Blofeld gestanden sein. Dass dies narrativer Unsinn ist, dass etwa Silvas Vendetta ganz persönliche Gründe hatte und sich kaum mit den Zielen von Blofeld respektive Spectre vereinbaren lässt, schien seitens der Produktion niemanden zu stören.

Nun könnte man freilich argumentieren, dass storytechnische Kohärenz noch nie eine Stärke der Reihe war, dass Filme wie Diamonds Are Forever (1971) oder Moonraker (1979) kaum mehr sind als eine Aneinanderreihung von extravaganten Actionvignetten und zweideutigen Sprüchen vor exotischem Dekor. Das ist wohl wahr, doch der pitoyable Versuch, Bond einen übergreifenden erzählerischen Bogen zu verpassen, rührte für viele doch an Grundsätzlicheres, er stellt alles in Frage, was Bond ausmacht.

Bond als Märchenheld

James Bond – ein Märchenheld?

In der längst unüberschaubaren Forschung zum bekanntesten aller Spione kommt einem Aufsatz von Umberto Eco besondere Bedeutung zu. Der Semiotiker und spätere Romancier interessierte sich bereits in den Sechzigerjahren für Mr. Kiss Kiss Bang Bang und ist damit ein Pionier der wissenschaftlichen Bondologie. In seinem Aufsatz, der sich ausschliesslich auf Ian Flemings Romane bezieht, vergleicht Eco Bonds Abenteuer mit klassischen Märchen. Wie diese beruhen Flemings Bücher auf einem sehr begrenzten Repertoire an Motiven, die jeweils neu kombiniert werden. Und wie im Märchen treten keine runden, psychologisch ausgearbeiteten Figuren auf, sondern Typen. Dass die Märchen-Hexe und Blofeld hässlich und abgrundtief böse respektive der edle Ritter und Bond gutaussehend und siegreich sind, ist keine Frage von Psychologie, Fähigkeiten oder Glück. Sie handeln so, wie sie handeln, weil sie die Figuren sind, die sie sind.

«Männer wollen sein wie er, Frauen wollen mit ihm sein», besagt ein oft angeführtes Zitat über Bond, dessen Ursprung allerdings unklar ist. Bond ist, mit anderen Worten, eine Projektionsfläche, eine Chiffre ohne Innenleben. Dies galt, bei allen Unterschieden zur literarischen Vorlage, lange auch für den filmischen Bond. Deshalb ist es nur konsequent, dass Bonds Ehe mit Teresa di Vicenzo in On Her Majesty’s Secret Service (1969) kein Glück beschieden war.

Der Irrtum der Craig-Ära in einem Bild verdichtet: Der Grabstein von James Bonds Eltern

Will man das grosse Missverständnis der Craig-Ära auf ein Bild reduzieren, so bietet sich eine Einstellung in Skyfall an, in der der Grabstein von Andrew und Monique Bond, James’ Eltern, zu sehen ist. Zwar fallen deren Namen bereits bei Fleming, aber letztlich ist Bond bei ihm und in den Prä-Craig-Filmen eine Gestalt ohne Privatleben oder Vergangenheit – eine durch und durch apsychologische Figur. Er ist in einem ganz wörtlichen Sinn ein Profi, der erst in dem Moment zum Leben erwacht, wo ihm ein*e M ein Dossier überreicht.

So gesehen kamen die Probleme von Spectre auch nicht von ungefähr, denn die Craig-Filme waren von Anfang als Versuch angelegt, der Figur ein psychologisches Profil zu verpassen. Die Bond-Produzent*innen hatten schon immer ein feines Sensorium für Trends und übernahmen gerne, was sich andernorts als erfolgreich erwiesen hatte. Man nehme etwa die Blaxploitation-Anwandlungen in Live and Let Die (1973), die Ninja-Einlagen in You Only Live Twice (1967) oder den Versuch, mit den Raumschlachten in Moonraker (1979) vom Erfolg des ersten Star-Wars-Films (1977) zu profitieren. Der gebrochene und extremen körperlichen Strapazen ausgesetzte Held, den Craig bei seinem Einstand in Casino Royale gab, knüpfte seinerseits an das nach 9/11 im Actionfilm dominierende Muster an, insbesondere an den neuen Typus des Superhelden, wie ihn Christopher Nolan ein Jahr zuvor in Batman Begins etabliert hatte.

Bond vs. Batman

Superhelden wie Batman haben eine origin story, ein traumatisches Erlebnis, bei dem sie ihre Superkräfte erlangen und meist auch ihre Liebsten verlieren. Vor Craig kam Bond ohne eine derartige Herkunftsgeschichte aus. Eine alternative Persona wie Bruce Wayne oder Clark Kent, in der sich die Gespaltenheit des Helden ausdrückt, hatte Bond ohnehin nicht nötig, da er nie gespalten war.

Im Rückblick erscheinen die Craig-Filme vielen aber wie ein krampfhafter Versuch, Bond eine origin story zu verpassen. Praktisch mit jedem Film wurden ihm mehr seelische Narben hinzugefügt, wurde seine Vorgeschichte ausgebaut. Dass dies dem Wesen der Figur vollkommen zuwiderläuft, dass es gerade das Überlebensgrosse ist, das Bond ausmacht, ist das Eine. Fast noch schwerer wiegt für einige Fans des Franchise aber, dass der ganze Aufwand erzählerisch wenig brachte. So verwendet Spectre – nicht zufällig der bisher längste Film der Reihe – viel Zeit und Energie darauf, die Figur Blofelds als geheimnisvollen Geist aus der Vergangenheit zu inszenieren. Doch als es schliesslich zur Konfrontation und Auflösung kommt, als Protagonist und Publikum erfahren, dass Blofeld in Wirklichkeit Bonds Ziehbruder Franz Oberhauser ist, geschieht – nichts. Zwischen den beiden entsteht keine Spannung, und Blofeld alias Oberhauser bleibt erstaunlich blass. Das liegt weniger an Christoph Waltz’ schauspielerischen Fähigkeiten als daran, dass die ganze origin story eben eine behauptete ist, mit der Figur Bonds wenig zu tun hat und nachträglich aufgepfropft wurde.

Und nun also No Time to Die, der fünfte und letzte Bond mit Daniel Craig. Die Frage, wie es mit der Reihe nach dem Abgang des Hauptdarstellers weitergehen soll, stellte sich zwar schon früher, aber so akut wie dieses Mal waren die Probleme noch nie, denn mit dem gewaltsamen Umbau ihrer Hauptfigur vom episodischen Helden zum Protagonisten eines Entwicklungsromans haben sich die Bond-Macher*innen ganz ungewohnte Probleme eingehandelt. Egal, wie No Time to Die ausgeht: Dass danach jemand dort weiterfährt, wo Craig aufgehört hat, dass die mittlerweile mit Traumata und Schrammen regelrecht überhäufte Figur noch weitere Abenteuer bestehen kann, scheint nur schwer vorstellbar. Wer immer in Zukunft Bond spielen wird – es deutet viel darauf hin, dass die Reihe zum dritten Mal komplett neu ansetzen muss.

„This never happened to the other fella” – James Bond als Leidensmann in Casino Royale

In seinem letzten Auftritt als Bond scheint Craig damit an einem Punkt angekommen zu sein, den es für seine Figur eigentlich nie hätte geben dürfen: an dem Moment, wo Bond nur noch die Wahl zwischen Tod oder Rückzug ins Privatleben bleibt. Es fragt sich, welche Variante schmachvoller wäre.

Siehe auch die Artikel «Ikone des Zeit­geists – James Bond im Wan­del der Zeit», «Licence to Spoil» sowie «The Franchise Never Dies. Die vielen Leben des James Bond».

Erschienen im Filmbulletin 5/2021.

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