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«The best films are like dreams you’re never sure you’ve really had.»
Zum Kino Jim Jarmuschs

Es gibt in Stranger Than Paradise, Jim Jarmuschs zweiten Langspielfilm, mit dem er 1984 erstmals international für Aufsehen sorgte, eine Szene, in der bereits die Essenz seines Kinos enthalten ist: Eddie, Willie und Eva, die drei Loser-ProtagonistInnen des Films, beschliessen, noch den Erie-See zu besichtigen, bevor sie Cleveland Richtung Florida verlassen. Die Szene ist – wie alle in Stranger Than Paradise – in einer Einstellung ohne Schnitt gedreht: Eine schneebedeckte Landschaft, inmitten des schier endlosen Weiss ein Geländer und davor drei Gestalten, die Wind und Kälte trotzen. Es folgt einer der unnachahmbaren Jarmusch-Dialoge: «So this is it, Lake Erie.» – «Look at all the snow! It’s beautiful.» – Genau so wenig, wie man einen gelungenen Witz erklären kann, ist es möglich, jemandem, der von dieser Szene nicht spontan begeistert ist, ihre stille Poesie, ihren lakonischen Humor nahezubringen. Und damit eignet sich die Szene ideal als Lackmustest für das gesamte Œuvre Jarmuschs. Wer nicht der Ansicht ist, dass dieser Wortwechsel am verschneiten Erie-See eine Sternstunde in der Geschichte des amerikanischen Kinos darstellt, der sollte sich am besten überhaupt keinen Jarmusch-Film ansehen.

Es scheint derzeit einige Filmkritiker zu geben, die diesen Test nicht bestehen. Anders lassen sich die vielen negativen Reaktionen auf The Limits of Control, Jarmuschs neusten Streich, nicht erklären. Von einer langweiligen, unverständlichen und leeren Stilübung ohne Geschichte war da unter anderem die Rede. Mancher amerikanische Kritiker sah in dem Film, in dem Isaach de Bankolé als wortkarger Killer durch Spanien reist und nicht viel mehr tut, als Kaffee zu trinken, auch ein unausgegorenes politisches Statement.

Beide Einschätzungen – das Fehlen einer Geschichte und die angebliche politische Botschaft – zielen komplett daneben. Jarmusch ist in seinen Filmen an vielem interessiert, aber sicher nicht an politischen Botschaften – und eigentlich auch nicht an Geschichten.

Seit seinem Erstling Permanent Vacation geht es dem 1953 geborenen Jarmusch nicht um Handlung im klassischen Sinn. Den typischen Hollywoodplot, in dem eine Hauptfigur gegen alle Widerstände ein Ziel verfolgt, sucht man in seinen Filmen vergebens. Wenn es tatsächlich mal ein Ziel gibt wie in Broken Flowers, in dem Bill Murray auf die Suche nach einer früheren Geliebten geht, mit der er angeblich einen Sohn gezeugt haben soll, kann man sicher sein, dass diese Reise zu nichts führen wird. Jarmuschs Figuren lassen sich treiben und werden getrieben. Wie Johnny Depp, der zu Beginn von Dead Man tödlich verletzt wird und von da an als lebender Toter durch die Wildnis torkelt, bis er schliesslich in einem Boot in die ewigen Jagdgründe gleitet.

Jarmuschs Figuren sind Aussenseiter: eine junge Ungarin, die ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten reist (Stranger Than Paradise), ein japanisches Pärchen, das in Memphis auf den Spuren des Kings wandelt (Mystery Train), oder ein ostdeutscher Taxifahrer, der mit den Tücken amerikanischer Autos nicht zurechtkommt (Night on Earth). Was Jarmusch interessiert, ist selten reiner Slapstick, sondern das leise Aufeinanderprallen der Kulturen und die teilweise urkomischen Missverständnisse, die daraus entstehen können. – Ein Aussenseiter ist schliesslich auch Jarmusch selbst. Zwar wurde er in Ohio geboren, und nur wenige andere Regisseure können uramerikanische Schauplätze wie ein Diner oder eine nächtliche Grossstadt in ähnlich schönes Licht rücken wie er, aber innerhalb der amerikanischen Filmindustrie erscheint er wie ein Irrläufer. Als Stranger Than Paradise in Cannes unerwartet die Goldene Kamera für den besten Nachwuchsfilm gewann, wurde der damals 28-Jährige zwar nicht gerade zum Star, aber manches Studio bot ihm daraufhin Drehbücher an. Jarmusch war nicht interessiert: Er wollte seine eigenen Filme machen, und nicht nur das – er wollte sie auch besitzen. Jarmusch ist einer der ganz wenigen amerikanischen Regisseure, die nicht nur jeden Schritt der Produktion peinlich genau überwachen, sondern auch Eigentümer der Negative des fertigen Films sind. Wirklich völlig über seine Werke zu verfügen, das war und ist ihm wichtiger als Geld.

In seinem künstlerischen Selbstverständnis als unabhängiger Autor und nicht als bezahlter Handlanger in einem grossen Studio ist Jarmusch zutiefst europäisch geprägt. Auch ästhetisch steht er der alten Welt – aber auch dem japanischen Kino – näher als dem Hollywoods. Ursprünglich wollte er Schriftsteller werden; im Rahmen seines Literaturstudiums kam er dann nach Paris – und verbrachte die meiste Zeit in der Cinémathèque Française. Hier entflammte seine Liebe fürs Kino, hier entdeckte er Regisseure wie Godard, Rosselini, Bresson, Dreyer und Antonioni (The Limits of Control ist nicht zuletzt eine parodistische Hommage an den vor zwei Jahren verstorbenen Altmeister des europäischen Kunstkinos).

Wie Jarmusch in Interviews erklärt, hat sich seine Arbeitsweise seit seinen Anfängen eigentlich kaum verändert: Er gehe nie von einem Plot aus, sondern von kleinen Szenen und Situationen, die er sich fortlaufend notiert. Und von den Menschen, die ihn umgeben. Im Grunde drehe er eigentlich immer noch mit seinen Freunden Studentenfilme. Der Freundeskreis mag mittlerweile grösser geworden sein und mehr berühmte Schauspieler umfassen, aber noch immer schreibt Jarmusch seinen Schauspielern die Rollen auf den Leib.

Auch sonst zeigt Jarmuschs Werk eine seltene Konstanz: Zwar hat jeder seiner Filme einen anderen Look, einen eigenen Rhythmus und nicht zuletzt eine spezifische Musikrichtung, aber immer schwingt da etwas mit, was ganz typisch Jarmusch ist. Dieser Stil wurde als minimalistisch, puristisch oder lakonisch bezeichnet, doch um was es letztlich geht, ist eine besondere Form von Präzision, eine Reduktion auf das Wesentliche. Und dieses Wesentliche ist für Jarmusch eben nicht Action, nicht das Lösen eines Rätsels oder das Erreichen eines Ziels, sondern das Zelebrieren der Poesie des Moments – etwa wenn drei junge Leute in den Schnee starren.

Zur Jim-Jarmusch-Retrospektive des Kino Xenix im September 2009.

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