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Ikone des Zeitgeists – James Bond im Wandel der Zeit

In seinem 24. Abenteuer «Spectre» zeigt sich James Bond wieder als brachialer Actionheld. Jeder Darsteller hat die Figur neu interpretiert und so Trends gesetzt.

Im neuen Bond-Abenteuer Spectre erhält James Bond (Daniel Craig) eine kryptische Botschaft, die ihn auf die Spur von Bösewicht Franz Oberhauser (Christoph Waltz) führt. Dieser plant mit seiner titelgebenden Organisation eine Verschwörung. Während M einen politischen Kampf zur Aufrechterhaltung des Geheimdienstes führt, krempelt 007 die Ärmel hoch und setzt sich als fulminanter Actionheld in Szene. Spectre nimmt Bezug auf die grosse Bond-Tradition. Damit appelliert der Film an die Fans, von denen viele ein enzyklopädisches Bond-Wissen haben. Und diese gibt es auf der ganzen Welt, denn James Bond ist längst mehr als ein Film- oder Romanheld, er ist eine Ikone, die punkto Berühmtheit in derselben Liga spielt wie Mickey Mouse oder Jesus.

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Bonds erster – längst vergessener – Filmauftritt in der Fernsehproduktion «Casino Royale».

Das war nicht immer so. Als Ian Flemings erster Bond-Roman, Casino Royale, 1953 erschien, verkaufte er sich zwar ordentlich, erhielt aber gemischte Kritiken. Noch unspektakulärer waren die filmischen Anfänge. Bonds erster Leinwand-Auftritt war streng genommen gar keiner: 1954 produzierte der amerikanische Fernsehsender CBS eine live ausgestrahlte einstündige Adaption von Casino Royale mit Barry Nelson als US-amerikanischem Agenten Jimmy Bond. Der Film, der lange als verschollen galt, mittlerweile aber auf Youtube verfügbar ist, fand kaum Beachtung.

Ganz anders war das Echo, als mit Dr. No 1962 der erste Bond-Film ins Kino kam. Er wurde in England ein Riesenerfolg und begründete die Bond-Mania, die 1964 mit dem dritten Film, Goldfinger, auch die USA erreichte. Von nun an brachen die Filme Rekorde, die Soundtracks stürmten die Hitparaden. Bond wurde zum Inbegri von Eleganz und Coolness, mehr noch: Er wurde ein popkulturelles Phänomen.

In der Filmgeschichte wird der Beginn des modernen Merchandisings zwar oft mit der Science-Fiction-Saga Star Wars 1977 angesetzt. Tatsächlich waren Albert «Cubby» Broccoli und Harry Saltzman, das genialische Produzenten-Duo hinter den Bond-Filmen, auf diesem Gebiet über ein Jahrzehnt früher aktiv. Seien es Comics, Brettspiele, die Spielzeuge der Firma Corgi oder Bond-Manschettenknöpfe – James Bond wurde auf allen Kanälen verwertet.

Wer aber versteckt sich hinter der Chiffre 007? Obwohl ihn jeder kennt, ist James Bond nicht klar konturiert und hat in mehr als 50 Jahren viele Häutungen durchgemacht. Am klarsten lässt sich der literarische Bond fassen: Kein Geringerer als Umberto Eco widmete den Romanen bereits 1966 einen literaturwissenschaftlichen Aufsatz und gab damit den Startschuss für die wissenschaftliche Bondologie. Das Fazit des Sprachwissenschafters: Flemings Romane folgen alle einem Schema, vergleichbar mit einem Schachspiel, in dem nur eine begrenzte Anzahl von Zügen möglich ist. Sie funktionieren wie Märchen. Beiderorts sind Gut und Böse klar geschieden, und die Figuren besitzen kein psychologisches Innenleben, sondern sind Stereotypen. Besonders den Schurken sieht man ihre Schlechtigkeit von weitem an: Sie tragen sprechende Namen wie Le Chiffre, Dr. No oder Mr. Big, sie sind ausländischer Herkunft und weisen groteske körperliche Defekte auf – wie die böse Märchenhexe.

Unendlich cool

So weit ähneln sich Flemings Romane und die Filme; ein grosser Unterschied liegt in der Tonlage. Der literarische Bond ist eine durch und durch humorlose Erscheinung. Wie im Film prügelt und schiesst er sich durch die Abenteuer, schlemmt in mondänen Lokalen – Fleming beschreibt über Seiten hinweg Gelage – und bekommt am Ende das Mädchen. Er bleibt aber ein eiskalter Profi. Wie anders wirkt dagegen der von Sean Connery verkörperte Bond, der bereits in seiner allerersten Einstellung in Dr. No jene Merkmale zeigt, die ihn berühmt machen sollten: Mit halb hochgezogenen Augenbrauen, der Zigarette lässig im Mundwinkel und einem angedeuteten süfisanten Grinsen sitzt er am Baccarat-Tisch und spricht die berühmteste Vorstellungsformel der Filmgeschichte: «Bond, James Bond».

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Der einzig wahre James Bond: Sean Connery in «Goldfinger».

Es besteht kein Zweifel: Der Mann ist cool. Seine Coolness ist aber anderer Art als die seines literarischen Vorbilds. Connery machte Flemings Figur interessanter, indem er ihre snobistischen Züge zelebrierte und zugleich unterlief. Sein Bond bewegt sich mit fast zu grosser Selbstverständlichkeit in der Welt der oberen Zehntausend; er kennt ihre Regeln, kann sich aber jederzeit lässig über sie hinwegsetzen. Während Flemings Bond mit heiligem Ernst verkündet, die englische Küche sei die beste der Welt, verzehrt Connery seinen Kaviar stets mit leicht spöttischer Attitüde.

Haltung, verstanden in einem physischen Sinn, ist denn auch, was den frühen Film-Bond ausmacht. Connery als Geheimagent mit der Lizenz zum Töten ist in erster Linie eine körperliche Erscheinung, eine geballte Ladung Testosteron, die sich mit der nachlässigen Eleganz einer schläfrigen Raubkatze bewegt. Angeblich entschieden sich Broccoli und Saltzman für den bis dahin völlig unbekannten Schauspieler, als sie sahen, mit welcher Lässigkeit Connery über den Hof in ihr Büro schritt. Der Kombination aus Virilität und selbstironischer Nonchalance kann selbst der Strampelanzug aus blauem Frottee nichts anhaben, den Connery zu Beginn von Goldfinger trägt.

Smoking unter Tarnanzug

Bonds Übermännlichkeit hat freilich ihre Kehrseite. Er nimmt sich jede Frau, die ihm gefällt, egal, was diese dazu meint. Dass die von Honor Blackman als resolute Frau dargestellte Pussy Galore in Goldfinger nicht auf Bonds Avancen anspricht, schert 007 nicht. Eine Vergewaltigung später – anders kann man diese «Liebesszene» kaum bezeichnen – ist sie zum anschmiegsamen Anhängsel geworden.

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Ein echter Bond sieht auch in babyblauem Frottee gut aus.

Fans und Interpreten sind sich uneins, ob die klischierten Rollenbilder der frühen Filme ironisch gemeint sind oder ob alte Geschlechterverhältnisse zementiert werden. Auf jeden Fall wurde das Selbstironische und Augenzwinkernde, das bereits in Dr. No angelegt ist, in den folgenden Filmen immer mehr betont. Exemplarisch ist der Beginn von Goldfinger: Nachdem er einen Sprengsatz in einem Drogenlabor placiert hat, streift Bond den Tarnanzug ab – darunter kommt ein weisser Smoking zum Vorschein. Selbstverständlich inklusive roter Nelke fürs Knopfloch. Bei Fleming gehört es zum festen Ablauf, dass Bond Folter über sich ergehen lassen muss und am Ende, nach dem grossen Showdown, mehr tot als lebendig ist. Connery dagegen rückt sich nach einer Prügelei lediglich die Krawatte zurecht.

Der James Bond des glücklosen Connery-Nachfolgers George Lazenby ist da in seinem einzigen Auftritt in On Her Majesty’s Secret Service (1969) von anderer Art: Schon in der ersten Szene wird er niedergeschlagen, als er einer Frau nachsteigt, was er umgehend kommentiert: «Das wäre dem anderen nie passiert.» Tatsächlich passiert dem Ex-Model Lazenby einiges, was seinem Vorgänger nicht untergekommen wäre. Er gerät in eine Lawine, muss einen Schottenrock samt Rüschenhemd tragen und spricht mit unmöglichem Akzent. Noch schlimmer als das: Die Produzenten nahmen den Wechsel des Darstellers zum Anlass, die Figur neu auszurichten. Vorbei waren die Zeiten von «Kiss Kiss Bang Bang» – in diesem Film verliebt sich Bond erstmals ernsthaft und heiratet sogar. Freilich nur, um seine geliebte Tracy sogleich durch einen Anschlag des heimtückischen Blofelds zu verlieren. Er war deutlich emotionaler und verletzlicher als Sean Connerys Bond. Mittlerweile ist On Her Majesty’s Secret Service unter eingefleischten Bond-Fans zu einem heimlichen Favoriten aufgestiegen. Trotzdem glauben viele, er sei ein Flop gewesen, und das Ausscheiden Lazenbys wird auf magere Einspielergebnisse zurückgeführt.

Abschied des Hippies

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George Lazenby musste einiges erdulden – unter anderem ein Rüschenhemd.

Beides stimmt nicht. Zwar konnte der Film nicht an den Grosserfolg der Connery-Ära anknüpfen, für den erfolgreichsten englischen Film des Jahres sowie den ertragreichsten Filmstart in den USA reichte es dennoch. Tatsächlich wollten Broccoli und Saltzman mit Lazenby weiterarbeiten; dieser fand jedoch, dass die Figur im Zeitalter von Gegenkultur und Flowerpower überholt sei. Er liess sich Bart und lange Haare wachsen und verabschiedete sich in die filmische Bedeutungslosigkeit.

Ganz geheuer war den Bond-Machern die neue Sensibilität aber offensichtlich nicht. Für den Nachfolgefilm Diamonds Are Forever (1971) ging man auf Nummer sicher und holte für eine Rekordgage von 1,25 Millionen Dollar Sean Connery zurück. Dass Bond gerade eben seine Frau verloren hatte, wurde nicht einmal angedeutet. Im Gegenteil: Als ginge es darum, den bösen Geist Lazenbys auszutreiben, reiht das Drehbuch von Diamonds Are Forever Absurdität an Absurdität. Bond wird in einer Ö̈lpipeline vergraben, fast in einem Sarg kremiert und kurvt in einem Mondfahrzeug durch die Wüste Nevadas. Dabei macht er natürlich immer eine gute Figur.

Jede will mit ihm ins Bett

In Sachen absurder Komik knüpfte die Roger-Moore-Ära an Connerys letzten Auftritt an. Sonst unterschieden sich die Schauspieler aber grundlegend. Moore war ein Gentleman, die ungezügelte Männlichkeit Connerys war ihm fremd. Der Wandel ist nicht nur eine Frage des Zeitgeists oder des Alters – Moore war bei seinem ersten Bond-Film bereits fünf Jahre älter als Connery bei seinem letzten –, sondern auch des Charakters. Man vergleiche nur, wie die beiden ihre jeweiligen Partnerinnen küssen: Connery, der später in Interviews ungeniert erklärte, dass Frauen hin und wieder eine Tracht Prügel brauchten, geniesst diese Momente offensichtlich und holt sich gierig, was er kriegen kann, während Moore zaghaft, geradezu schüchtern agiert.

Die Bond-Macher zielten darauf ab, die Filme dem Zeitgeist anzupassen. Schauspielerwechsel waren dafür stets eine gute Gelegenheit. Die angebliche Rückbesinnung auf Fleming gehörte schon früh zur Vermarktung, so auch bei Timothy Daltons Auftritt in The Living Daylights (1987). Dies entspricht aber nicht den Tatsachen. Vielmehr ist dieser bis heute unterschätzte Film wohl der realistischste der Reihe und so ein Gegenentwurf zu Fleming. Dem früheren Bühnenschauspieler Dalton gelingt weitgehend, woran Lazenby scheiterte und was Connery und Moore gar nicht erst versuchten: dem Kunstcharakter Bond so etwas wie psychologische Tiefe zu verleihen. Daltons Bond ist im Zeitalter von Aids nicht nur monogam, er erscheint erstmals als halbwegs menschliche Figur.

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Nach wie vor unterschätzt: Timothy Dalton in The Living Daylights

Allem Gerede von der Rückbesinnung auf Fleming zum Trotz: Broccoli und seinem Stiefsohn Michael G. Wilson, die mittlerweile als Produzenten-Duo fungierten, war wohl bewusst, dass sie mit dieser Vermenschlichung ein Risiko eingingen. Wie bereits Umberto Eco schrieb, liegt der Reiz von Bond gerade darin, dass er eine hoch artifizielle Figur ohne seelisches Innenleben ist. «Jeder Mann möchte sein wie Bond, jede Frau will mit ihm ins Bett.» Dieses oft Raymond Chandler zugeschriebene Zitat, dessen Herkunft aber unklar ist, bringt auf den Punkt, was die Figur so erfolgreich macht: James Bond ist die ideale Projektionsfläche – gerade weil er eine reine Chimäre, eine Maske ohne Innenleben ist.

Für die Filme besteht die Herausforderung darin, den Gegensatz zwischen Realismus und Typisierung jeweils neu auszubalancieren. Bei Licence to Kill (1989), dieser inkohärenten Mixtur aus Drogen-Thriller, Rachefilm und Miami Vice, missglückte der Versuch komplett. Nie war Bond wütender und brutaler als hier, nie seine Mission persönlicher, und nie war man vom vertrauten Tonfall weiter weg.

Pierce Brosnan, der 1995 mit GoldenEye seinen Einstand gab, sollte weniger zwischen den Polen vermitteln als vielmehr alles auf einmal sein: kalt und emotional, witzig und hart. Auch dem veränderten Frauenbild zollte man Tribut. Gleich zu Beginn wird 007 von M – mit Judi Dench erstmals von einer Frau verkörpert – als «sexistischer, frauenfeindlicher Dinosaurier» und «Relikt des Kalten Kriegs» abgekanzelt. Obwohl die vier Einsätze Brosnans kommerziell erfolgreich waren, überzeugte keiner der Filme. Insbesondere Brosnan selbst scheint nie so recht zu wissen, was eigentlich von ihm verlangt wird.

Herkunfts-Saga

Für Casino Royale folgten die Produzenten – mittlerweile war Barbara Broccoli an die Stelle ihres verstorbenen Vaters getreten – wieder dem Trend. Neulancierung und Erzählung des Ursprungs der Figur hiessen die Zauberworte, die schon bei den Superheldenfilmen die Massen anzogen und die nun auch bei James Bond durchexerziert wurden. Das Franchise setzte komplett neu an, und sein Protagonist wurde zu einem extrem leidensfähigen und weitgehend humorlosen Killer umgemodelt.

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Mit Daniel Craig wird Bonds Körper zur Kampfzone

Daniel Craig ist zwar wie Sean Connery ein sehr physischer Bond, sein Körpereinsatz unterscheidet sich aber fundamental von Connerys. Blieb dessen Erscheinung stets makellos, wird der Körper bei Craig zur Kampfzone. Im Trailer zu Spectre erscheint Bond als zupackender Actionheld, während der von Christoph Waltz verkörperte Bösewicht distinguierter erscheint. Die Action wurde schon in Casino Royale (2006) härter, die Gadgets sind aufs Minimum reduziert, und die Folterszene, in der Le Chiffre Bonds Geschlechtsteile malträtiert, war ein Novum. Das war ein radikaler Bruch mit früheren Konzeptionen der Figur, aber für einmal wirklich eine Rückbesinnung auf Fleming. Die Szene ist praktisch eins zu eins aus dem Roman übernommen; überhaupt folgt der Film seiner Vorlage erstaunlich genau.

Nur Bond selbst entspricht nicht mehr Flemings Märchen-Stereotyp ohne Innenleben. Gleich in seinem ersten Einsatz wird dem Helden von der schönen Vesper Lynd das Herz gebrochen. Und als wäre das noch nicht genug, kehrt Bond am Ende von Skyfall (2012) in das gleichnamige Familien-Anwesen zurück. Beiläufig erfahren wir hier, wer Bonds Eltern waren und dass sie beide gestorben sind, als er ein Kind war. Und noch etwas hat sich geändert: Bis anhin war jedes Bond-Abenteuer eine abgeschlossene Episode. Selbst dramatische Ereignisse wie der Tod Tracys blieben folgenlos. Die Craig-Filme dagegen bilden ein Kontinuum. Quantum of Solace (2008) ist eine Fortsetzung von Casino Royale, und auch die Plots von Skyfall und Spectre bauen auf denen der Vorgänger auf.

Die Folgen der Veränderungen sind gravierend: War Bond bis jetzt eine Figur ohne Herkunft und Innenleben, die nicht alterte, jeweils aus dem Nichts kam, die Welt rettete und wieder verschwand, ist er nun in Spectre ein Mensch mit Vater und Mutter, mit Vergangenheit und somit potenziell einem Ende. Mit anderen Worten: James Bond ist sterblich geworden.

Erschienen in Frame 3/2015.

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