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Ein indisches Fernsehmärchen
Slumdog Millionaire von Danny Boyle

Eine Kindheit im Slum

Eine Kindheit im Slum

Von einem Trend zu sprechen, wäre wohl übertrieben, aber Indien ist im westlichen Kino zweifellos so präsent wie nie zuvor, und das nicht nur in der Form vereinzelter Bollywoodimporte: Bereits vor einem Jahr schickte Wes Anderson in The Darjeeling Limited drei amerikanische Brüder auf einen Selbsterfahrungstrip nach Indien, und nun kommt, nur zwei Wochen nach der schweizerisch-indischen Beziehungskomödie Tandoori Love, Danny Boyles Slumdog Millionaire ins Kino.

Die Faszination für den indischen Subkontinent verbindet die drei Filme, doch Slumdog Millionaire unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von den beiden anderen: Boyle inszeniert keinen Clash der Kulturen, sondern erzählt eine durch und durch indische Geschichte: In Indien, mit ausschliesslich indischem Personal, basierend auf einem indischen Roman.

Den Rahmen des Films bildet ein modernes Fernsehmärchen: Der Teeboy Jamal (Dev Patel) steht kurz davor, in der Fernsehshow Wer wird Millionär den Hauptpreis von 20 Millionen Rupien abzuräumen. In einer mehrfach verschachtelten Rückblendenstruktur zeigt der Film nun, wie Jamal, der ungebildete Slumdog, es geschafft hat, all die Fragen zu beantworten. Damit erzählt der Film auch gleich Jamals Lebensgeschichte, denn wie es der Zufall – oder doch das Schicksal? – will, hängt jede der Quizfragen mit einem prägenden Erlebnis in Jamals Leben zusammen.

Dieser etwas sehr konsequent durchgezogene Kunstgriff ermöglicht es dem Film, ein wahrhaft dickensches Kinderschicksal und damit verknüpft ein pralles Gesellschaftsgemälde zu entwerfen: Jamals Kindheit in den Slums, wie er sich mit seinem Bruder durchschlägt, an einen brutalen Ausbeuter gerät, die Liebe seines Lebens findet und wieder verliert, sich mit seinem Bruder entzweit, und dazu noch Gangsterbanden und die boomende Millionenstadt Mumbai. Und in all den Wirren hat Jamal stets nur ein Ziel vor Augen: Seine geliebte Latika (Freida Pinot) wiederzufinden.

Jamal wird Millionär

Jamal wird Millionär

Das alles erzählt der Film mit einer ungeheuren Energie; geradezu trunken von Farben, Rhythmen und Gerüchen knüpft Boyle mit seinem Erzählfuror an frühere Filme wie Trainspotting an. All die cineastische und kinetische Energie kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Boyles Indien-Märchen dramaturgisch ein bisschen sehr simpel und absehbar gestrickt ist und kaum eine Wendung wirklich überraschend kommt. Es bleibt auch die Frage, wie ernst es dem Film mit seiner Gesellschaftskritik wirklich ist. Denn das Kunststück, Humor mit sozialem Realismus zu verknüpfen, das gerade das britische Kino so gut beherrscht, gelingt Slumdog Millionaire nur teilweise. Boyle schneidet Themen wie die kaum überwindbaren Barrieren in der indischen Klassengesellschaft oder die Schattenseite des Wirtschaftsbooms zwar an, pulverisiert sie aber sogleich im nächsten Moment mit einem filmischen Feuerwerk. So weiss der Film zwar gut zu unterhalten, hinterlässt aber wenig bleibende Wirkung.

Erschienen in der Basler Zeitung vom 22. Januar 2009.

Slumdog Millionaire in der Internet Movie Database

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