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Die Wiedergeburten des Tom Cruise
Mission: Impossible – Ghost Protocol von Brad Bird

Tom Cruise als IT-Techniker

Tom Cruise als IT-Techniker

… Beim Telefonieren …

… Beim Telefonieren …

… beim Autofahren …

… beim Autofahren …

… beim Aussteigen …

… beim Aussteigen …

… in schlechter Gesellschaft …

… in schlechter Gesellschaft …

… und in luftigen Höhen.

… und in luftigen Höhen.

Wer ist Ethan Hunt? Oder präziser gefragt, was zeichnet die Hauptfigur der Mission: Impossible-Reihe aus? Auch Actionkenner dürften Mühe haben, diese Frage zu beantworten. Denn obwohl die erfolgreiche Serie um den Agenten der Impossible Missions Force mittlerweile beim vierten Teil angelangt ist, bleibt ihr Held unfassbar. Diese Undefiniertheit ist einigermassen erstaunlich. Denn sieht man von Lalo Schifrins treibender Titelmelodie und spektakulären Einbrüchen ab, ist die Figur Hunts eigentlich das Einzige, was die vier Teile verbindet. Oder vielmehr: Es ist Tom Cruise in ebendieser Rolle, der die Serie prägt. Und damit steht die Reihe sinnbildlich sowohl für Cruises Star-Persona als auch für die Entwicklung des Actionkinos insgesamt.

Cruise fungierte bei Mission: Impossible von Beginn an nicht nur als Hauptdarsteller und publicitywirksames Zugpferd, sondern auch als Produzent. Die Filme sind ganz auf ihren Star zugeschnitten, und dies mag ihre Unfassbarkeit erklären. Denn wie Hunt ist auch Cruise vor allem eines: Eine leere Hülle. Ein ewig junger Sonnyboy, an dessen grinsendem Tefloncharme nichts hängen bleibt, den nicht einmal seine skandalträchtige Mitgliedschaft bei Scientology wirklich interessant macht.

Cruise ist ein eigentliches Genie der Oberfläche, der immer dann am schwächsten ist, wenn er meint, grosse Gefühle spielen zu müssen. Die Momente, in denen er in den Schauspielmodus wechselt – oder auch nur dem, was er dafür hält –, dürfen auch in Mission: Impossible – Ghost Protocol nicht fehlen. Dann erlischt sein patentiertes Lächeln, wird der Blick starr und finster, kraust sich die ansonsten so glatte Stirn, stehen alle Zeichen auf Emotion, und als Zuschauer ist man peinlich berührt und wünscht sich sehnlichst die nächste Verfolgungsjagd herbei. Sehenswert ist Cruise dagegen immer dann, wenn er aufs Spielen verzichtet und nur Körper und Bewegung ist. Für subtilere Filme sind das freilich schlechte Voraussetzungen. Stanley Kubrick benötigte denn auch über ein Jahr Drehzeit, bis er dem Hauptdarsteller seiner Schnitzler-Verfilmung Eyes Wide Shut jegliche Schauspielerallüren ausgetrieben und ihn auf die glatte Hülle reduziert hatte, die er in Wirklichkeit ist.

Obwohl das Drehbuch von Ghost Protocol mit einer gänzlich überflüssigen Vorgeschichte um Hunts ermordete Ehefrau überfrachtet wurde, dominieren in dem Film naturgemäss die körperbetonten Szenen, in denen Cruise glänzen kann. Nicht umsonst hatte Regisseur Brad Bird zuvor im Hause Pixar die beiden Höhepunkte des Animationsfilms The Incredibles und Ratatouille zu verantworten, kennt sich also im Umgang mit seelenlosen Akteuren aus. Entsprechend setzt er Cruise – wann immer das Drehbuch es erlaubt – in Szene und zeigt, warum dieser allen mimischen Defiziten zum Trotz ein filmisches Ereignis sein kann. Die schiere Art und Weise, wie er sich im Raum bewegt, wie er eine Strasse entlang schreitet, sich in einer fliessenden Bewegung einen Pullover überziehen oder eine Brille aufsetzen kann, ist schon fast den Kinoeintritt wert.

Bereits der Hongkong-Exilant John Woo hatte sich im zweiten Teil der Reihe ganz auf die physischen Qualitäten Cruises verlassen. Unter seiner Regie geriet Mission: Impossible II zu einem einzigen Ballet, das nicht einmal mehr vorgab, eine Handlung zu erzählen. Im Grunde war diese bis zum Exzess stilisierte Kampfchoreographie die ideale Bühne für Cruise. Doch der 2000 erschienen Film stellte gewissermassen auch einen Endpunkt in der Geschichte des Actionfilms dar. Im Verlaufe der 90er war das Genre – Tarantino und Konsorten sei Dank – zusehends von postmoderner Verspieltheit erfasst worden. Harte Männer, ohne die das Actionkino nicht auskommt, wurden in diesen Zeiten fehlenden Ernstes zu einer raren Spezies. Hollywood behalf sich mit Baller-Komödien oder eben mit dem Zelebrieren reiner kinetischer Energie wie in Mission: Impossible II. Doch spätestens im neuen Jahrtausend funktionierte beides nicht mehr recht. Der Erfolg von Fantasy- und Science-Fiction-Spektakeln wie Lord of the Rings oder der zweiten Star Wars-Trilogie, aber auch die kurzfristige Rückkehr des Sandalenfilms sind schliesslich auch als Reaktion auf diese Entwicklung zu verstehen. Denn in fernen Welten – seien diese nun historisch oder frei erfunden – ist noch Platz für männlich-herbe Helden.

J.J. Abrams fand mit Mission: Impossible III dann wieder halbwegs auf den Boden der Realität zurück: Sein Film war deutlich härter als die vorangegangenen und präsentierte endlich wieder einen weitgehend ironiefreien Helden; das Actiongenre war bei seinem kernigen Ursprung angelangt. Wenn Ghost Protocol ein Indiz für künftige Entwicklungen ist, scheint sich die Geschichte nun allerdings zu wiederholen: Der Film gibt sich als unverkrampfte Actionkomödie und knüpft damit nicht zuletzt an die goldenen Zeiten der James-Bond-Filme an (welche nicht zufällig bei ihrem Reboot auf eine dezidiert härtere Gangart getrimmt wurden).

Geradezu altmodisch dreht sich der Plot um einen wahnsinnigen Wissenschaftler, der einen die Erde reinigenden Atomkrieg herbeiführen will. Ihm auf den Fersen sind Hunt und ein Agenten-Rumpfteam, das zwar ohne offiziellen Auftrag operiert, aber dennoch stets Zugriff auf die neusten technischen Gadgets hat. Stationen der Reise sind Budapest, Moskau – wo der halbe Kreml in Schutt und Asche gelegt wird –, Dubai und Mumbai. Am spektakulärsten gestaltet sich die Etappe im Emirat, wo Hunt reichlich Gelegenheit hat, am höchsten Gebäude der Welt herumzuklettern. Das in dem über 800 Meter hohen Burj-Khalifa-Tower untergebrachte Hotel scheint übrigens nicht sonderlich gut ausgelastet, denn obwohl Hunt viel Zeit an der Fassade verbringt, wird er von keinem Gast gesehen …

Somit hat Cruise Mission: Impossible einmal mehr neu erfunden – oder erfinden lassen –, und einmal mehr passt das Ergebnis perfekt in seine Zeit: Ein kurzweiliger Actionkracher, der sich nur selten zu ernst nimmt. Nächstes Jahr feiert Cruise übrigens seinen 50. Geburtstag. Wir sind gespannt, wie oft er noch zu solchen filmischen Wiedergeburten fähig ist.

Erschienen in der NZZ vom 15. Dezember 2011.

Mission: Impossible – Ghost Protocol in der Internet Movie Database.

Ein Kommentar

  1. […] zu The Incredibles, Ratatouille sowie Mission: Impossible – Ghost Protocol siehe hier, hier und hier. […]

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