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Fehlgeleiteter Idealismus
Manderlay von Lars von Trier

Man kann über Lars von Triers Filme geteilter Meinung sein, eines kann man dem Dänen aber nicht vorwerfen: dass er sein Publikum langweilen würde. Jeder seiner Filme ist ein Experiment mit den Konventionen des Erzählkinos, eine Versuchsanordnung, bei der er scheinbar gegensätzliche und inkompatible Elemente zusammenzwängt. Das gelingt meistens nicht ganz, ist aber immer interessant. Dieses Verdikt gilt auch für Dogville, eine Mischung aus brechtschem Theater, Politparabel und Amerikakritik.

Manderlay schliesst direkt an den Vorgänger an: Grace (Bryce Dallas Howard), die gebeutelte Schöne des ersten Teils, kommt mit ihren Gangstern zu einer Baumwollplantage, in der zu ihrem grossen Entsetzen noch Sklaverei praktiziert wird. Kurz entschlossen macht sie dieser Barbarei ein Ende, setzt die greise Besitzerin ab und befreit die geschundenen Kreaturen.

Dass die humanitäre Intervention nicht die von der naiven Grace erhofften Veränderungen bewirkt, wird schnell klar. Nicht nur geht in der Plantage ohne starke führende Hand alles drunter und drüber, auch mit den Bürgerrechten klappt’s nicht so recht: Einmal auf den Geschmack gekommen, bestimmen die frischgebackenen Staatsbürger nicht nur demokratisch über die Uhrzeit, sondern verurteilen auch noch eine alte Frau zum Tode; man kann einem Volk nicht einfach Demokratie aufzwingen – es ist nur zu offensichtlich, worauf von Triers Polemik abzielt, doch macht es sich der Regisseur ein wenig zu leicht, indem er Demokratie mit der Diktatur der Mehrheit verwechselt.

Konnte man sich bei Dogville nach darüber streiten, inwiefern der Film auf die USA gemünzt war, so lässt Manderlay diesbezüglich wenig Raum für Interpretation. Immer wieder machen Off-Erzähler und Dialog deutlich, wer das Ziel der Kritik ist. Und wenn es am Ende noch Fragen geben sollte, wird spätestens beim Abspann alles klar: Wieder Photographien des gesammelten amerikanischen Unrechts – dieses Mal gegen die Schwarzen – und wieder Bowies Young Americans; die grosse Neuerung: Wenn im Songtext von Nixon die Rede ist, ist nun George W. zu sehen.

Manderlay ist der zweite Teil einer geplanten USA-Trilogie, um als Spiegel der amerikanischen Aussenpolitik taugen zu können ist die Geschichte allerdings viel zu simpel gestrickt. Wie so oft bei Politparabeln reicht eine gleichnishafte Geschichte nicht aus, um die Komplexität der Wirklichkeit auch nur ansatzweise wiederzugeben. Denkt man die triersche Allegorie zu Ende, ergibt sich auch manches Fragwürdiges, denn wie sich am Ende herausstellt, ist die Sklaverei in Manderlay nicht erzwungen, sondern von den Sklaven vielmehr gewünscht.

Man kann sich durchaus fragen, was ein dänischer Regisseur, der den europäischen Kontinent noch nie verlassen hat, mit den USA am Hut, und warum es immer gleich eine Trilogie sein muss, auch wenn man bei einem chronischen Provokateur wie von Trier den politischen Gehalt nicht überbewerten sollte; allerdings zwingt einen der Film bis zu einem gewissen Grad dazu, denn sonst gibt Manderlay nicht viel her. Dem grossen Kino-Erneuerer ist wenig Neues eingefallen: Wieder die leere Bühne mit den unsichtbaren Türen, dieses mal mit mehr Nachtszenen, Zugvögeln und einem veritablen Sandsturm, und auch der elisabethanisch angehauchte Off-Kommentar fehlt nicht. Im Gegensatz zu Dogville lässt einen das Gezeigte aber erstaunlich kalt, die emotionalen Extremmomente, für die von Trier berüchtigt ist, fehlen trotz einer Fast-Vergewaltigung weitgehend. Das liegt nicht zuletzt an Howard, die zwar solide spielt, aber einfach keine Kidman ist. Lars von Trier überrascht uns somit einmal mehr – mit seinem ersten langweiligen Film.

Erschienen in der BZ.

Manderlay in der Internet Movie Database

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