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Gegen die Windmühlen der Wirklichkeit
Lost in La Mancha von Keith Fulton und Louis Pepe

Making Ofs, Dokumentarfilme über die Entstehung von Filmen, sind längst keine Besonderheit mehr. Bei Hollywoodproduktionen werden sie heute routinemässig als Teil eines grösseren PR-Pakets mitgedreht. Meist sind sie denn auch nur begrenzt spannend: Wer sich nicht für die technischen Aspekte, sondern mehr fürs Zwischenmenschliche interessiert, wird in der Regel enttäuscht: Von der speziellen Dynamik, die sich im Laufe eines Drehs entwickelt, ist da nur selten etwas zu spüren. Üblicherweise sagen Schauspieler und Regisseur alle brav ihr Sprüchlein auf, dass dies ein ganz spezielles Projekt sei, in dem besonders viel von ihrem Herzblut steckt. Doch auch in diesem Genre gibt es Interessantes, allen voran Hearts of Darkness: A Filmmaker’s Apocalypse das Making Of von Apocalypse Now. Dieser Film handelt nicht mehr von Dreharbeiten, sondern von einem titanischen Kampf: Regisseur Coppola ringt buchstäblich mit den Elementen und ist bereit, für sein Wahnsinnsprojekt sein privates Vermögen sowie seine geistige und körperliche Gesundheit (und die seines Teams) aufs Spiel zu setzen.

Ex-Monty Python Terry Gilliam ist ein Wesensverwandter Coppolas. Auch in seiner Karriere gab es schon manch heftiges Auf und Ab: The Adventures of Baron Munchausen ist eines der ganz grossen Fiaskos der jüngeren Filmgeschichte, und bei seiner barocken Grossstadtdystopie Brazil lieferte sich der Regisseur einen erbitterten Kampf mit dem Studio, bis schliesslich die seinen Vorstellungen entsprechende Schnittfassung veröffentlicht wurde. The Man Who Killed Don Quixote war ein Traumprojekt von Gilliam, an dem er bereits seit zehn Jahren arbeitete, dessen Finanzierung aber nie zu Stande kam. Mit einem viel zu kleinen Budget von 32 Millionen Dollar begannen 2000 schliesslich die Dreharbeiten in Spanien. Johnny Depp sollte einen Werbefachmann spielen, der plötzlich ins Spanien des 17. Jahrhunderts gerät und dort die Rolle Sancho Pansas übernehmen muss. Für den entscheidenden Part des traumtänzerischen Ritters hatte man nach langem Suchen schliesslich den französische Schauspieler Jean Rochefort gefunden, in Gilliams Augen die Idealbesetzung.

Wie Gilliam in Lost in La Mancha selbst zugibt, kommt seine Kreativität erst richtig auf Trab, wenn er sich vor unüberwindbare Hindernissen gestellt sieht. Die Parallelen zur Don Quixote-Geschichte sind unübersehbar: Auch Gilliam ist bereit, für seine Träume gegen jeden Gegner – und sei er noch so übernächtig – zu kämpfen. Zu Beginn der Vorproduktion ist das Chaos bereits total: Die verschiedenen Teile der Crew sind über halb Europa verstreut, die Stars haben nie Zeit für Kostüm- oder Leseproben, und alle wissen, dass der Drehplan unglaublich knapp berechnet ist und der kleinste Fehler zur Katastrophe führen wird. Dennoch ist man guten Mutes, allerorten herrscht die Gewissheit, dass so etwas einfach zu einer Gilliam-Produktion gehört, dass es am Ende aber schon gut kommen wird.

Keith Fulton und Louis Pepe haben bereits das Making Of zu Gilliams Twelve Monkeys gedreht (The Hamster Factor and Other Tales of Twelve Monkeys). Auch damals konnten sie den Regisseur in einer Produktion beobachten, die ständig ins totale Chaos umzukippen drohte. Vor allem aber war Gilliam je länger je mehr davon überzeugt, einen Film zu drehen, den sich niemand freiwillig anschauen würde. Der grosse Erfolg beim Publikum kam damals als vollkommen unerwartetes Happy End.

Die Beteiligten an der Produktion von Lost in La Mancha – und mit ihnen die Zuschauer – hoffen dieses mal leider vergeblich auf ein Happy End. Wir sehen hier einen Dreh, bei dem aber auch wirklich alles schief läuft, was nur irgendwie schief gehen kann: Am ersten Drehtag sorgen Kampfflugzeuge vom benachbarten Militärflugplatz für eine ständige Lärmkulisse und die Statisten sind nicht richtig instruiert. Dennoch kriegt man einige Aufnahmen in den Kasten, zaghafter Optimismus macht sich breit. Ist der Bann gebrochen? Von wegen, von jetzt an wird’s nur noch schlimmer. Orkanartige Regenfälle überschwemmen das Set, das Material versinkt im Schlamm, und als sich der Regen gelegt hat, sieht die Landschaft vollkommen anders aus als am ersten Drehtag. Den Todesstoss erhält die Produktion, als sich herausstellt, dass Hauptdarsteller Rochefort vor Schmerzen kaum im Sattel sitzen kann. Unverzüglich reist er zu seinem Arzt nach Paris und kehrt nicht mehr zurück.

Nun beginnt der Ärger erst richtig. Als Zuschauer erhalten wir seltene Einblicke in die komplizierte Finanzierung eines Films. Versicherung, Produzent und Investoren beginnen zu streiten, wer was zu bezahlen hat und ob Rocheforts Krankheit ein Fall von force majeur ist oder ob man nicht jemandem die Schuld und somit die Kosten anhängen kann. Neben diesem Ränkespiel geht der eigentliche Film irgendwie vergessen. Gilliam und seine Leute sitzen untätig in Madrid, und niemand scheint mehr zu wissen, wer nun das Sagen hat. Die Organisation des Films, schon in der Vorproduktion ein Problem, implodiert jetzt regelrecht. Kommt Rochefort zurück, und wenn ja wann, und wenn nicht aufgrund höherer Gewalt? Soll man den Dreh unterbrechen, die Übung ganz abblasen, und wer ist überhaupt befugt, diese Entscheide zu treffen?

Lange lässt sich Gilliam von den Widrigkeiten nicht beeindrucken und treibt das Projekt unbeirrt vorwärts. „Hauptsache, wir haben etwas auf Film“ heisst die Devise. Aber auch er muss sich mit der Realität abfinden, bei Quixote rennt er trotz allem inneren Feuer gegen eine Wand, dieses Projekt scheint regelrecht verhext. Lost in La Mancha ergreift unbedingt Partei für Gilliam, man muss sich als Zuschauer allerdings auch fragen, ob der Regisseur und seine Crew nicht ein wenig zu sehr von der eigenen Genialität überzeugt waren und schlicht nicht sehen wollten, dass dieser Film von Beginn an auf zu wackligen Füssen stand. Immer wieder hören wir, dass das Budget für einen Film dieser Art viel zu klein sei; wie klug ist da ein Regisseur, wenn er ein solches Unterfangen dennoch in Angriff nimmt? Was am Ende von den grossen Visionen übrig bleibt, sind ein Haufen Requisiten in Kartonschachteln. Lost in La Mancha ist als Film kein Meisterwerk – vor allem die schlechte Videoqualität ist ärgerlich – , als wahre Tragödie, als Geschichte von einem, der auszog, um seinen Traum zu verwirklichen, und an der Wirklichkeit scheiterte, aber sicher sehenswert.

Lost in La Mancha in der Internet Movie Database

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