Zum Inhalt springen

Spiel mir das Lied vom Sklavenaufstand
Django Unchained von Quentin Tarantino

Szenenbild_03(700x492)

Szenenbild_08(700x349)

Szenenbild_11(700x466)

Szenenbild_19(700x369)

Dass sich Quentin Tarantino nun am Western versucht, kann im Grunde niemanden erstaunen. Wer sogar den Zweiten Weltkrieg als Spaghetti-Western inszeniert, wie es der Regisseur in Inglourious Basterds getan hat, hegt offensichtlich eine besondere Zuneigung zur Pferdeoper. Dass Tarantinos Liebe dem filmischen Trash gilt, ist ja ohnehin bekannt und wird im Falle seines jüngsten Werks bereits beim Titel augenfällig: Django Unchained erweist gleich zwei italienischen «Klassikern» die Reverenz. Neben Sergio Corbuccis Django – dessen Brutalität bei seinem Erscheinen 1966 für rote Köpfe sorgte – klingt hier auch Hercules Unchained an, so der amerikanische Titel des an unfreiwilliger Komik nur schwer überbietbaren Ercole e la regina di Lidia.

«Revenge is a dish best served cold» – das klingonische Sprichwort, das am Anfang von Kill Bill steht, würde als Motto für alle Filme taugen, die Tarantino seither gedreht hat. Auch in Django Unchained schickt er seine Hauptfigur auf einen unerbittlichen Rachefeldzug, in diesem Fall fungiert ein befreiter Sklave als Todesengel. Womit wir bei einer weiteren Konstante im Werk des Regisseurs wären: der Faszination für die afroamerikanische Kultur; für die Blaxploitation-Filme der 1970er Jahre im Besonderen und eine spezifisch schwarze Coolness im Allgemeinen. Das alles miteinander vermengt führt zu Django (Jamie Foxx), einem schwarzen Westernhelden, der am Ende des Films nicht nur dunkle Augengläser trägt und schneller zieht als seine Gegner, sondern der sich auch vom unsicher Stammelnden zum Meister des geschliffenen Dialogs gemausert hat. Denn Coolness hat in diesem hochstilisierten Filmkosmos immer zwei Gesichter; sie zeigt sich im souveränen Umgang mit der Waffe ebenso wie im spielerischen Beherrschen der Sprache.

Obwohl Tarantino mit Django Unchained gleichsam zu den Urquellen seines Kinos findet, ist der jüngste Film des Meisters nicht sein bester. Das hat mehrere Gründe, einer davon ist sein schon früher beobachtbarer Hang, Szenen bis zum Extrem auszudehnen und gleichzeitig den Plot immer mehr zu reduzieren. Tarantino ist ein mit vielen Talenten gesegneter Regisseur; vom Dialog über die Schauspielerführung, die Musikauswahl, das Rhythmusgefühl und das visuelle Erzählen bis zur rohen cineastischen Wucht gibt es wenige Filmemacher, die ihm das Wasser reichen können. Doch das Bauen eines Plots, eines grossen erzählerischen Bogens, gehört nicht zu seinen Stärken, was sich nicht zuletzt an seiner Vorliebe zeigt, die Filme in Kapitel zu zergliedern und ihnen so eine Struktur zu geben. Oft fällt dieses Manko nicht weiter auf, da die einzelnen Szenen mehr als genug Energie besitzen, um den jeweiligen Film vorwärtszutreiben.

Und an brillanten Szenen und Figuren fehlt es auch in Django Unchained nicht. Das beginnt mit Christoph Waltz als Doktor King Schultz, einem Zahnarzt, der auf Kopfgeldjäger umgesattelt hat und zu Beginn den Sklaven Django freikauft. Ein stets tadellos gekleideter und frisierter deutscher Emigrant, der sich getreulich an den Buchstaben des Gesetzes hält und dabei Leiche auf Leiche türmt. Einmal mehr kann Waltz sein komisches Talent ebenso unter Beweis stellen wie seine stupende Mehrsprachigkeit; unter anderem darf er mit Djangos Frau Broomhilda – einer Sklavin, die ihren Namen Wagner-Liebhabern zu verdanken hat – auf Deutsch parlieren. Auch Leonardo DiCaprio sieht man gerne zu, wenn er als stinkreicher Plantagenbesitzer Vorträge über Phrenologie hält. Die an Sam Peckinpah und John Woo geschulten Schiessereien dürfen ebenfalls nicht fehlen, wobei sich der Film hier überraschend zurückhaltend gibt: Die einzelnen Szenen sind zwar furios und blutrünstig, für einen Western nehmen sie aber erstaunlich wenig Leinwandzeit ein.

Alle filmischen Kabinettstückchen, auch die verwaschenen Rückblenden und abrupten Zooms im 1970er-Jahre-Stil, reichen aber nicht, um dem fast dreistündigen Film – Tarantinos bisher längster – einen Zug zu geben, der über die gesamte Dauer hinwegträgt. Das liegt nicht nur am Plot, der kaum der Rede wert ist, sondern hängt auch damit zusammen, dass der Western ein Genre ist, welches gerade jüngere Kinogänger eigentlich nur noch in Form der Parodie oder der postmodernen Pastiche kennen. Tarantino ist hier mit einem ähnlichen Problem konfrontiert wie die Coens in True Grit: Im Wilden Westen wurden längst alle Erwartungen unterlaufen, Topoi auf den Kopf gestellt und Klischees parodiert. Tarantinos spezifische Remix-Ästhetik läuft in diesem Fall ein Stück weit ins Leere. Wenn er in Inglourious Basterds die Judenverfolgung als Western inszeniert, ist das frech, verblüffend – neu. Djangos Schiessübungen an einem Schneemann sind im Vergleich dazu nur ein netter Gag.

Allerdings spielt hier auch der jeweilige kulturelle Kontext mit. Amerika wird ungern an seine Sklavenhalterzeit erinnert, im Western war dieses Thema bisher inexistent. Tarantino dagegen spart nicht mit Szenen, die die Grausamkeit dieser Praxis illustrieren. Selbst sein Protagonist zögert nur kurz, als er zwischen dem Leben eines geflüchteten Sklaven und dem Ziel seiner Mission – der Befreiung Broomhildas – abwägen muss, und verhindert nicht, dass der Unglückliche von Hunden zerfleischt wird. Es ist gut möglich, dass Django Unchained in Tarantinos Heimat für einen ähnlich erfrischenden Schock sorgen wird wie Inglourious Basterds in Europa. Die Konstellation wäre durchaus vergleichbar, schliesslich inszeniert Tarantino in beiden Fällen einen düsteren historischen Stoff als brutale Farce, lässt die scheinbar Schwachen blutige Rache an ihren Peinigern nehmen. Spike Lee, selbsternannter Wächter über das schwarze Gewissen Hollywoods, hat seinem weissen Regiekollegen bereits wütend die Berechtigung abgesprochen, die Sklaverei als Western zu inszenieren. In unseren Breitengraden dürfte dieses provokative Potenzial aber wohl grösstenteils verpuffen, da der Resonanzraum fehlt.

Erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung vom 17. Januar 2013.

Django Unchained in der Internet Movie Database.

Sei der Erste der einen Kommentar abgibt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

10 − vier =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.