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Identitätskonflikte
Va, vis et deviens von Radu Mihaileanu

Israel definiert sich selbst als Einwanderungsland, das Juden jeder Herkunft offen steht. In seiner Geschichte gab es immer wieder grosse Einwanderungswellen, die die gesellschaftliche Integrationskraft der ganzen Nation auf die Probe stellten. So auch die Einwanderung der äthiopischen Juden – der Überlieferung nach Nachkommen der Königin von Saba –, die Mitte der achtziger Jahre im Rahmen der sogenannten «Operation Moses» stattfand. Tausende von Fallashas wurden über Nacht buchstäblich aus der Steinzeit in die Gegenwart katapultiert und mussten schmerzhaft erfahren, dass das verheissene Paradies seine ganz irdischen Fehler hat. Als schwarze Juden wurden sie auch im offiziell so liberalen Israel angefeindet, und schon bald zweifelte auch das Oberrabbinat ihren Status als Juden an.

David und seine AdoptivmutterVa, vis et deviens spielt vor dem Hintergrund der «Operation Moses», doch gibt das Drehbuch der ohnehin schon komplizierten Ausgangslage noch einen zusätzlichen Dreh: David, die neunjährige Hautpfigur des Films, ist nämlich Christ und wird von seiner Mutter an Bord der rettenden Maschine geschmuggelt; er soll es besser haben als seine Familie in Äthopien. So wird David, der in Israel von einer liberalen Familie adoptiert wird, zum wandelnden Identitätskonflikt. Adoptiert in einem fremden Land, muss er so tun, als sei er Jude, und den alltäglichen Rassismus über sich ergehen lassen.

Es ist bewundernswert, wie souverän der Film von Radu Mihaileanu mit dieser mehr als heiklen Anlage umgeht. Was in den Händen eines weniger versierten Regisseurs schnell zu einem platten Thesenstück verkommen könnte, entwickelt sich zu einer intelligenten Mischung aus Zeitgeschichte und Bildungsroman. Wir folgen David über verschiedene Stationen seiner Jugend hinweg, und wo er auch hinkommt, stets wird seine Identität von neuem im Frage gestellt: Sei es, dass der religiöse Vater seiner Freundin ihn nicht akzeptiert, oder sei es, dass sein zionistischer Adoptivvater von ihm verlangt, Militärdienst zu leisten – immer wieder muss sich David fragen, wer er ist und wo seine Wurzeln sind. Und über all dem schwebt immer das Wissen, mit einer Lüge zu leben, und der Schmerz, von der eigenen Mutter weggeschickt worden zu sein.

Da und dort übertreibt es der Film ein wenig, wenn er sein Anliegen deutlich machen will, und gegen Ende wären ein paar Kürzungen auch nicht schlecht gewesen, doch über weite Strecken hinweg gelingt es dem Drehbuch, in kurzen, prägnanten Szenen Davids Problem immer wieder von neuem auf den Punkt zu bringen, nicht zuletzt dank eines ausgezeichneten Ensembles. Vieles läuft nur andeutungsweise nebenher – etwa der Nahostkonflikt, der zwar immer präsent aber nie das eigentliche Thema ist. Ein seltener Glücksfall eines Films, der es versteht, Geschichtslektion und Charakterstudie zu verbinden.

Va, vis et deviens in der Internet Movie Database

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