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Der Plot-Pointer
This Is the End

Wie in der letzten Kolumne beschrieben, arbeiten viele Filme mit einer Drei-Akt-Struktur: Exposition, Komplikation, Auflösung. Das klingt einleuchtend, doch was hat es mit dem letzten Teil wirklich auf sich? Was wird da wie aufgelöst?

Bereits Aristoteles schreibt in seiner Poetik, das Ende sei jener Teil, der notwendigerweise aus dem Vorangegangenen erfolgt und nach dem nichts mehr entsteht. Diese Regel hat Hollywood schon früh perfektioniert. Beim typischen Happy End sind alle Widerstände überwunden und alle offenen Fragen beantwortet. Und um es zu bekräftigen, erscheint gross «The End» auf der Leinwand.

Titanic
Nach dem Untergang der Titanic gibt es nichts mehr zu erzählen.

Dieses Muster lässt sich in den unterschiedlichsten Genres beobachten: Wenn James Bond die Welt gerettet hat und sich in aller Ruhe der aktuellen Dame seines Herzens widmen kann, ist in der Tat alles auserzählt. Nicht anders in einer Superschnulze wie Titanic. Zwar fällt die Auflösung in diesem Fall tragisch aus, dafür ist sie umso endgültiger. Nach dem Untergang von Schiff und Jack im Nordatlantik gibt es definitiv nichts mehr zu erzählen. Die Rettung von Rose und der Epilog in der Gegenwart können darum auch in Windeseile abgehandelt werden.

So weit das klassische Modell, mittlerweile hat sich aber einiges verändert. Es gibt heute kaum noch Filme, die das Ende mit einer Texteinblendung markieren. Der Grund hierfür ist primär praktischer Natur: Als in den siebziger Jahren Schluss-Credits aufkamen – vorher waren Anfang-Credits die Norm –, wurde der «The-End»-Schriftzug schlicht überflüssig. Die Filmindustrie findet mittlerweile über die blosse Betitelung hinaus grossen Gefallen am Fehlen eines klaren Endpunkts. Hinweise, dass der Bösewicht nicht wirklich tot ist, dass es noch ein Geheimnis zu lüften gibt und die Geschichte weitergeht, gehören bei Grossproduktionen mittlerweile zum Standard. Marvel hat die Nach-Credits-Sequenz, in der jene, die bis zum Schluss ausharren, mit einem Hinweis auf den kommenden Film versorgt werden, gar zum Markenzeichen gemacht.

Diese Art von Offenheit funktioniert grundsätzlich anders als etwa jene von Inception. In Christopher Nolans Film hat sich Cobb, ein professioneller Traum-Manipulator, einen Test ausgedacht, um sicherzustellen, ob er träumt oder wacht. Wenn sich sein Metallkreisel ewig weiterdreht, weiss er, dass er sich nicht in der Realität befindet. Am Ende des Films, als er nach vielen Strapazen endlich wieder bei seinen geliebten Kindern ist, dreht Cobb den Kreisel, wartet das Ergebnis seiner Probe aber nicht ab. Die Frage, ob das Erlebte real ist oder nicht, spielt für ihn keine Rolle mehr. Wichtig ist nur, dass er wieder mit seinem Nachwuchs vereint ist. Für das Publikum eine ideale Ausgangslage, um darüber zu spekulieren, in welcher Realitätsebene der Film endet.

Diese Offenheit ist ganz anderer Art als die Marvel’sche. Superheldenfilme bauen gezielt Brücken zu den kommenden Fortsetzungen. Dahinter steht weniger eine erzählerische als vielmehr eine wirtschaftliche Logik. Durch den ständigen Aufschub des Abschlusses soll das Publikum dazu gebracht werden, sich auch den nächsten und übernächsten Film anzuschauen. Eine Strategie, die die James-Bond-Filme in rudimentärer Form schon früh vorwegnahmen. Bereits in From Russia with Love, dem zweiten Film der Reihe, folgt auf «The End» ein freches «Not Quite the End. James Bond Will Return.»

No Country for Old Men
Javier Bardem macht sich am Ende von No Country for Old Men davon.

Von noch existenziellerer Art als in Inception ist die Unabgeschlossenheit von No Country for Old Men. Ein schiefgelaufener Drogendeal führt zu einem blutigen Katz-und-Maus-Spiel. Der von Javier Bardem gespielte irre Killer Anton Chigurh ist hinter Josh Brolin her, der zufällig in die Sache hineingetappt ist. In sicherem Abstand folgt Tommy Lee Jones als amtsmüder Sheriff Bell. Das Drehbuch der Coen-Brüder verstösst gegen so ziemlich alle Regeln des «guten Erzählens». Es gibt keine Hauptfigur, sondern deren drei, die sich zudem nie begegnen. Und der grosse Showdown, bei dem Brolins Figur stirbt, findet im Off statt. Die anderen Protagonisten überleben zwar, bei beiden kommt aber nichts zum Abschluss. Chigurh, der sich ohnehin mehr als Werkzeug des Schicksals denn als aktiv Handelnder sieht, wird zufällig angefahren und stolpert mit gebrochenem Arm aus dem Bild, derweil sich Bell in den Ruhestand begibt und über vergangene Zeiten sinniert.

Dass Filme trotz allem Realismus-Anspruch kein Abbild des Lebens sind, wird an Konventionen wie der des Endes, in dem alles zum Abschluss kommt, besonders deutlich sichtbar. Denn unserer Lebenserfahrung steht diese erzählerische Struktur diametral entgegen. Egal, welche Höhe- und Tiefpunkte man auch erlebt, das Leben geht weiter. Bis es dann doch irgendwann mal aufhört. Ohne höhere Logik oder tiefere Moral. In dieser nihilistischen Pointe liegt auch der Sinn des Endes von No Country for Old Men. Und zu einem grossen Kunstwerk wird der Film, weil seine Zufälligkeit und Offenheit letztlich alles andere als beliebig ist, sondern ihrerseits ganz aristotelisch etwas Zwangsläufiges und Definitives besitzt.

Erschienen im Filmbulletin 5/2017.

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