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„Aber ist es nicht auch komisch?“
Storytelling von Todd Solondz

In der ganzen Aufregung um American Beauty
ging hierzulande ein anderer Film weitgehend unter: Happiness von Todd Solondz war
all das, was American Beauty gerne gewesen wäre: ein
wirklich ätzendes Portrait des zeitgenössischen Amerikas,
ein Panoptikum beziehungsunfähiger und sexuell frustrierter
Figuren. Der Film war ein echter Schlag in die Magengrube, ein
Kinoerlebnis, das man nicht so schnell vergass. Gegen Solondzs
Spott schien sogar Robert Altman ein
echter Menschenfreund zu sein. Seine im amerikanischen Kino
ziemlich einzigartige Direktheit brachte dem Regisseur aber nicht
nur Freunde ein. Der Vorwurf, dass er ein zynischer Misanthrop sei,
der sich am Elend seiner Figuren weide, war vielerorts zu
hören. Storytelling nimmt sich trotz des zeitlichen
Abstands zwischen den beiden Filmen wie eine direkte Reaktion auf
diese Vorwürfe aus.

Solondzs jüngster Film zerfällt in zwei Teile mit den
Titeln Fiction und Non-Fiction. Der kürzere
erste Teil erzählt von der Studentin Vi und ihrem zerebral
gelähmten Freund Marcus. Die beiden sind Teilnehmer eines
Creative Writing-Seminars. Unter der Leitung eines schwarzen
Dozenten überbieten sich hier die Studenten in der Kunst der
literarischen Selbstentblössung. Selbst Erlebtes soll
Authentizität garantieren, fehlendes literarisches Können
wird durch Schamlosigkeit und Selbsterniedrigung wett gemacht. Doch
die Tatsache, dass Marcus behindert ist, macht seine Geschichte um
das Liebesleben eines Behinderten nicht besser. Zwar ergehen sich
die Mitstudenten in einfühlsamen Lobpreisungen, doch der
Professor bereitet dem Treiben ein jähes Ende. Er, der
Schwarze, darf sagen, was den anderen eine heuchlerische
Verhaltensnorm verbietet: dass Marcus’ Geschichte ganz einfach
schlecht ist. Aber auch dieser furchtlose Professor ist kein
Unschuldslamm. Kurz darauf wird er auf Vis Avancen eingehen,
allerdings ganz anders, als sie sich das vorgestellt hat. Immerhin
hat sie damit nun endlich einen Stoff, den sie literarisch
verarbeiten kann. Doch als Vi im Plenum die detallierte
Beschreibung des brutalen Geschlechtaktes vorträgt, wird sie
in der Luft zerrissen. Ihr Text sei frauenfeindlich, klischiert,
rassistisch, dumm, schlichtweg widerwärtig. Auf ihren
verzweifelten Einwand, dass die Geschichte doch wahr sei, meint ihr
Lehrer mit stoischer Ruhe nur: „In dem Moment, wo Du es
niederschreibst, wird es Fiktion.“

Bereits in diesem ersten Teil zeigt Solondz, worum es ihm geht, und
dass er keine Angst davor hat, in alle Fettnäpfchen
gleichzeitig zu treten. Was ihn interessiert, ist die Frage, aus
welchem Stoff Fiktion gemacht ist, wo die Grenze verläuft
zwischen dem Schöpfen aus eigener Erfahrung und vulgärem
Exhibitionismus. Solondz gelingt es, abgedroschenen Themen wie
Rassismus und dem Umgang mit Behinderten eine neue Schärfe zu
geben. In seiner Filmwelt lösen sich die Konflikte nicht so
leicht auf, gibt es keine klaren Grenzen zwischen Gut und
Böse, sind alle gleichzeitig Opfer und Täter und
führt sich das Programm der political correctness
selbst ad absurdum. Zudem ist Fiction eine schallende
Ohrfeige für Hollywood, das in letzter Zeit eine besondere
Vorliebe für Schmalzgeschichten “based on a true story”
entwickelt hat.

Non-Fiction, der Hauptteil des Filmes, erzählt von
dem erfolglosen Dokumentarfilmer Toby, der einen Film über
amerikanische Teeanger drehen möchte und dabei auf Scooby,
einen desinteressierten Kiffer aus gutbürgerlichem Elternhaus,
stösst. Scooby will zum Fernsehen und willigt deshalb schnell
ein, doch seine Eltern sind besorgt. Werden sie durch diesen Film
nicht ausgebeutet, wird Toby sie nicht alle zu Witzfiguren machen?
Nirgendwo sieht man Solondzs Vorgehensweise besser als bei der
Darstellung seines filmischen Alter Egos. Toby wird zwar gleich in
der ersten Szene als lächerlicher Verlierer eingeführt,
doch je länger er an seinem Film arbeitet, desto klarer wird,
dass sein Bemühen aufrichtig ist. So prätentiös sein
Kommentar sein mag, so lächerlich seine Erscheinung, Toby will
seine Figuren nicht einfach in die Pfanne hauen, sein Film soll
keine Freakshow werden, sondern ein Stück Wahrheit
zeigen.

In einer Schlüsselszene muss sich Toby von seiner Cutterin
schwere Vorwürfe anhören: er sei gar nicht an Menschen
interessiert und behandle sie arrogant von oben herab. Toby wehrt
ab. Das Gegenteil sei der Fall, er liebe seine Figuren. Aber sei
der Film dennoch nicht auch ein bisschen witzig? – Es sind wahrhaft
zentrale Fragen, die Solondz in seinem Film verhandelt.
Glücklicherweise ist er zu intelligent, um zu glauben,
ausgerechnet er könne sie endgültig beantworten.
Lösungen hat er keine auf Lager, aber er tut das, was er kann:
er dreht einen Film.

Dass Storytelling trotz aller gedanklichen Schärfe
und des hervorragenden Ensembles nicht die Brillanz von
Happiness erreicht, liegt wohl an zwei Dingen: anders als
in seinem Meisterwerk behandelt Solondz in seinem jüngsten
Film Themen, die dem Durchschnittszuschauer keine schlaflosen
Nächte bereiten. Beziehungsprobleme haben wir alle, aber mit
der Frage nach der Ethik des Geschichtenerzählens müssen
sich nur die wenigsten von uns herumschlagen. Ausserdem war Solondz
wohl ein bisschen zu sehr darum bemüht, von seinem Image als
Menschenfeind wegzukommen; die rohe Kraft von Happiness,
diese gnadenlose Direkheit, erreicht Storytelling nicht.
Sehenswert ist der Film aber auf jeden Fall.

Storytelling in der
Internet Movie Database

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