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Im Utopia der Lust
Shortbus von John Cameron Mitchell

Kann Mann sich selbst einen blasen? Wahrscheinlich nicht jeder, aber zumindest Paul Dawson ist dafür gelenkig genug, wie er in der Eröffnungsszene von Shortbus unter Beweis stellt. – Obwohl ihn kaum ein Kino gezeigt hat, ist der Film von John Cameron Mitchell in den USA bereits berüchtigt. Das Branchenblatt Variety sprach vom „most sexually graphic American narrative feature ever made outside the realm of the porn industry“. Auch am Zurich Film Festival, wo er den Preis für den besten Nachwuchs-Spielfilm gewann, sorgte Shortbus mit seiner Freizügigkeit für Aufsehen.

Wenn es um die körperliche Liebe geht, gibt sich das Kino nach wie vor verkrampft. Zwar lachen uns von jeder Plakatwand knappst bekleidete Frauen an, im prüden Hollywood finden Liebende aber noch heute regelmässig nur unter der Bettdecke zueinander. In Europa zeigt man zwar traditionell mehr nackte Haut, beim Akt selbst flüchtet man sich aber auch hier gerne in Andeutungen. Und wenn Lars von Trier oder Catherine Breillat mal einen Tabubruch wagen, ist das Ergebnis meist alles andere als lustvoll. Selten sehen wir Sex im Film so, wie ihn die meisten Menschen wohl erleben: Als etwas Schönes, aber eigentlich auch ziemlich Normales.

Shortbus folgt einer Reihe von New Yorkern, die alle irgendwie am Eros leiden. Die Sexualtherapeutin Sofia (Sook-Yin Lee) ist noch nie zum Höhepunkt gekommen, die Domina Severin (Lindsay Beamish) sehnt sich nach Nähe, und der Schauspieler Jamie (PJ DeBoy) droht seinen Freund vor Liebe zu ersticken. Ihr Glück finden sie im alternativen Swingerclub Shortbus, einem erotischen Utopia, dessen bunt zusammengewürfelte Mitglieder einen endlosen Karneval der Lust feiern.

In der Schweiz wird Shortbus nur Zuschauern über 18 Jahren zugänglich sein, denn nach den Buchstaben des Gesetzes zeigt Mitchell Pornographie. Da wird kopuliert, penetriert und ejakuliert, was das Zeug hält. Dabei wirkt Shortbus aber nie schlüpfrig oder voyeuristisch, sondern meist befreiend komisch. Regisseur Mitchell mag es burlesk, er liebt grosse Gesten und deftige Scherze. Sein Film ist ein Lustspiel im doppelten Sinn, das über Sex lacht, ihn aber nie lächerlich macht – etwa wenn James während eines flotten Dreiers die amerikanische Nationalhymne in einer rektalen Version zum Besten gibt.

Shortbus ist über mehrere Jahre hinweg ohne Drehbuch in enger Zusammenarbeit mit den Schauspielern entstanden. Das mag auch der Grund dafür sein, dass die Story stellenweise ein wenig durchhängt, doch werden die kleinen Schwächen durch die kindliche Freude, die der Film versprüht, mehr als wettgemacht. Mitchell versteht seinen Entwurf einer glücklicheren Welt durchaus politisch; nicht zufällig spielt der Film in New York, das innerhalb der zunehmend reaktionären USA als Insel der Freiheit erscheint. Shortbus ist hoffnungslos optimistisch und naiv und bezieht gerade daraus seine Kraft. Der Film ist eine Liebeserklärung an das Leben, die im farbenfrohsten Orgasmus der Filmgeschichte endet.

Shortbus in der Internet Movie Database

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