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Familienspiele
Mon frère se marie von Jean-Stéphane Bron

Mit seinem ingeniösen Dokumentarfilm Mais im Bundeshuus sorgte Jean-Stéphane Bron vor drei Jahren für den Überraschungserfolg des Filmfestivals von Locarno. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an seinen ersten Spielfilm, der heuer auf der Piazza Grande Premiere hatte.

Es beginnt wie ein Dokumentarfilm: Jacques (Cyril Troley) lässt seine Familie vor der Kamera antreten und erzählen, erzählen über von den Ereignissen des Films, den wir anschliessend sehen werden. Die Familie, das sind die geschiedenen Eltern, Schwester Catherine und Bruder Vinh, um den sich alles dreht. Vinh kam als kleiner Boat-People-Flüchtling in die Schweiz und wurde von der Familie Depierraz adoptiert. Nun will er heiraten, und aus diesem Anlass reist Vinhs leibliche Mutter in die Schweiz, was den Sohn in arge Bedrängnis bringt. Dass man in seiner Adoptivfamilie längst getrennte Wege geht, hat Vinh nie erwähnt, seine Mutter, die an traditionellen Werten festhält, erwartet nicht weniger als eine glückliche Bilderbuchfamilie.

Um Vinh die Peinlichkeit zu ersparen, rauft sich Familie Depierraz zusammen und spielt dem Besuch eine Familienidylle vor, die es so schon lange nicht mehr gibt. Vater und Mutter, seit Jahren getrennt, ziehen wieder zusammen, und Jacques organisiert in Windeseile eine Hochzeit mit allem Drum und Dran.

Ganz neu ist die Idee von Mon frère se marie nicht, Ang Lees The Wedding Banquet folgte einem ganz ähnlichen Plot. Das ist noch kein Nachteil, zumal Bron ein erlesenes Schauspielerensemble um sich versammelt hat. Dass er ein begnadeter Beobachter ist, hat der Regisseur bereits in seinen Dokumentarfilmen unter Beweis gestellt, nun tritt er den Beweis an, dass er auch mit Schauspielern umgehen kann. Figuren wie der hemdsärmlige Vater (Jean-Luc Bideau) und die etwas überdrehte Mutter (Aurore Clément) sind ebenso präzise wie liebevoll gezeichnet.

Die schauspielerische Chemie stimmt also, dennoch kommt Mon frère se marie nie so recht in Fahrt. Bron scheint sich nicht entscheiden zu können zwischen Feel-Good-Movie à la Wedding Banquet und einer leiseren, weniger auf Lacher ausgerichteten Charakterstudie. Tempo und Tonlage schwanken fortlaufend, und das Publikum weiss nie so recht, ob das Gezeigte nun witzig gemeint ist oder nicht. Man fühlt sich als Zuschauer ein bisschen allein gelassen, ein Eindruck, der durch die Interviewpassagen noch verstärkt wird. Diese Einschübe tragen eigentlich nichts bei, sondern nehmen dem Film nur noch mehr Tempo. Mon frère se marie mäandert ohne klaren Bogen voran und mündet in einer regelrechten Antiklimax. Kein Zweifel: Bron hat bewiesen, dass er auch das Handwerk des Spielfilmregisseurs beherrscht, er sollte sich einfach noch klar werden, was er eigentlich erzählen will.

Mon frère se marie in der Internet Movie Database

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